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"Kehret um!", rufen weise Männer wie Fritz Dinkhauser und Hans Dichand den Österreichern zu. In Deutschland macht es Oskar Lafontaine, in der Schweiz Christoph Blocher.
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Im Allgemeinen bilden Männer jenseits der 65 keine Problemgruppe, die jemandem Angst einflößt - höchstens den Krankenkassen. Sie sind je nach Persönlichkeitstyp in kontrollierbaren Einheiten untergebracht, die Varianten reichen von Tarock (Kleinstgruppe) über Heizdecken-Ausflugsfahrer bis zu den Ferntourismus-Brigaden, die die Tempelanlagen von Angkor und die Inkastadt Machu Picchu beleben und im Freien grundsätzlich Kopfbedeckungen tragen. Nicht zu vergessen sind auch die Rehab-Kohorten und die weißhaarigen Universitätsstudenten, die ihren Doktor in Philosophie, Theologie oder Numismatik machen wollen. Alle sind berechenbar, wenn sie bekommen, was sie erwarten.
Achtgeben muss man lediglich auf die Einzelgänger - das ist bei Grizzlybären und Elefanten auch so. Nicht immer verrät sie der stechende Blick. Fritz Dinkhauser (68) schaut eher philosophisch und tirolerisch, der linkslinke Oskar Lafontaine (demnächst 65) in Deutschland wie ein Missionar mit einem unausgelebten Hang zur physischen Gewalt. Beim "Kronenzeitung"-Tycoon Hans Dichand (87) gilt das forschende Auge der Besucher und Betrachter seiner Porträts sofort seinem Hund - wo sitzt er?
Was treibt die unberechenbaren Einzelgänger dazu, sich in ihren späteren Jahren der Politik zu widmen? Die Gruppe ist zu klein für empirische Studien. Es kann sich ja nicht nur um Rheuma und Insuffizienz handeln, sondern um etwas Seelisches. Der Trieb ist maskulin, aber vielleicht wird sich Gesine Schwan (65), die von der SPD als Bundespräsidentschafts-Kandidatin ins Feld geschickt wird, im kommenden Jahr als eine den Männern ebenbürtige Kampfansage erweisen.
Warum ficht der Kunstsammler und Chemie-Unternehmer Christoph Blocher (67) noch immer gegen alles, was die Schweiz in eine gleichmacherische Verbindung mit der Europäischen Union, den Vereinten Nationen und den Ausländern ziehen könnte? Bei ihm kann man annehmen, dass er bloß weitermacht, um sein Werk zu vollenden.
Bei Dinkhauser, der bei den Tiroler Landtagswahlen ÖVP und SPÖ in die Bredouille brachte und jetzt probieren möchte, ob das auch bundesweit funktioniert, muss es anders sein. Er scheint eher Lafontaine, dem Sargnagel der SPD, zu ähneln: Zwei reife Herren haben subjektiv das Gefühl, dass nicht nur sie ein falsches Lebenskonzept haben, sondern die ganze Gesellschaft. Motto: Kehret um! Also ehrlich, der Autor dieser Zeilen (67), weiß, wovon die beiden reden und hat Sympathie. Wann sonst grübelt man über sein falsches Leben? Gleich am Anfang etwa?
Interessant ist nur, dass die Blochers, Dinkhausers, Lafontaines und Dichands aus dem Bauchgefühl heraus so genau wissen, was richtig wäre. Dass Dinkhauser uns noch zeigen wird, wie echte Demokratie funktioniert, ist vom Ansatz her nobelpreisverdächtig. Man sollte sich im August und somit vor der Nationalratswahl noch rasch in Tirol umschauen, um mehr darüber zu erfahren.
Ehe die Modelle Dinkhauser in Österreich und Lafontaine in Deutschland zum Durchbruch kommen oder Österreich aus der EU austritt, müssen wir uns mit einer Demokratie zufrieden geben, die dem Ersatzreserverad eines Autos gleicht. Wir hoffen, dass eh nichts passiert - und insgeheim auch, dass die mangelhafte Demokratie mit den stürmischen Alten genau so fertig wird wie mit allem, was ins Elitäre, Extreme oder auch bloß Skurrile ausreißt. Was dann am Ende übrig bleibt, ist entweder ein Glück oder ein Schaden.