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Weil Athen nicht gehorcht, fordern einige in der EU bereits lautstark einen Stacheldraht an der griechisch-mazedonischen Grenze.
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Idomeni/Skopje. Seitdem Mazedonien am Mittwoch für einen halben Tag die Grenze schloss, liegen im griechischen Grenzort die Nerven blank. Ungefähr 2000 Flüchtlinge kommen hier täglich mit Bussen aus Athen an, nachdem sie in kleinen Booten von der türkischen Küste auf eine der griechischen Inseln gelangt sind. Mehr als 50.000 Menschen reisten seit Jahresbeginn auf diese Weise in die EU ein, mit einem Rückgang der Zahlen rechnet in absehbarer Zukunft niemand. Die vor allem im Winter gefährliche Nachtfahrt über das östliche Mittelmeer kostet Menschenleben: Gestern, Donnerstag sind wieder mindestens 24 Schutzsuchende kurz vor dem Ziel ertrunken. Nichtdestotrotz bestehen europäische Politiker wie Östereichs Innenministerin Johanna Mikl-Leitner darauf, Griechenland müsse die Außengrenzen der EU viel konsequenter verteidigen, um die Anzahl der Einreisenden "deutlich zu reduzieren".
Wie dies überhaupt möglich sein soll, ohne auf Flüchtlingsboote zu schießen, bleibt dabei ebenso mysteriös wie die nebulöse Vorstellung, eine insgesamt 18.000 Kilometer Seegrenze lasse sich jemals effizient kontrollieren, geschweige denn von einem Land, das seit Jahren in einer tiefen Wirtschaftskrise steckt und bei den öffentlichen Ausgaben drastisch sparen muss. Die griechische Regierung weist, genau wie die Helfer auf Samos oder Lesbos, die Vorwürfe als absurd zurück, doch die EU-Kommission wiederholt sie in einem aktuellen Bericht, in dem sogar mit dem Ausschluss Griechenlands aus dem grenzkontrollfreien Schengen-Raum gedroht wird. Parallel wird allerdings auch an einer etwas plausibleren Alternativlösung gearbeitet. Wenn sich die Grenze zwischen der Türkei und Griechenland nicht dichtmachen lässt, dann solle eben die nächste Grenze entlang der Balkanroute, nämlich die zwischen Griechenland und Mazedonien, abgeriegelt werden.
Diesen Vorschlag formulierte bereits vor einigen Wochen der slowenische Ministerpräsident Miro Cerar, und die Idee stieß vor allem in Ländern wie Polen, Tschechien, Ungarn und der Slowakei auf viel Enthusiasmus. Die Visegrád-Staaten schickten Anfang des Jahres sogar eigene Polizeitruppen, die den mazedonischen Kollegen bei der Verteidigung der Grenze helfen sollen. Auch Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker äußerte sich am vergangenen Montag in einem Brief an Cerar positiv über den slowenischen Vorschlag.
Rechtsfreier Raum
Die Gründe dafür liegen nahe. Zum einen scheint die Vorstellung, eine relativ kurze, wenn auch bergige Grenzstrecke zu schließen, realistischer als die absurden Forderungen nach einer Seeblockade gegen Schlauchboote. Zum anderen ist der EU-Beitrittskandidat Mazedonien besser geeignet als ein EU-Mitglied, wenn es darum geht, Asylsuchende kurzerhand und ohne jegliche Prüfung der Einzelfälle an der Grenze abzuweisen und damit einen klaren Bruch der Genfer Menschenrechtskonvention in Kauf zu nehmen: Durch die Verlegung des Problems in einen weniger sichtbaren Balkanstaat verliert die Affäre an Brisanz.
Andererseits erweisen sich allerdings auch die Nachteile dieses Plans als erheblich. Die Regierung in Athen warnte nach der vorübergehenden Schließung der mazedonischen Grenze am vergangenen Mittwoch erneut vor einer humanitären Katastrophe, falls die Balkanroute tatsächlich blockiert wird. Dass Griechenland kurzfristig in der Lage sein könnte, täglich 2000 neue Asylsuchende unter menschenwürdigen Bedingungen unterzubringen, glaubt in der Tat keiner der vor Ort aktiven Helfer oder Beobachter. Staus und Versorgungsengpässe mitten im Winter sind vielmehr vorprogrammiert, zumindest für die Zeit, bis eine neue Variante der Balkanroute erkundet und "erschlossen" wird. Zudem erschwert die Berglandschaft entlang der nördlichen Grenze Griechenlands eine komplette Abriegelung.
Die Flüchtlinge könnten dann Mazedonien über Bulgarien oder über Albanien umgehen. Für Bulgarien wäre das keine Premiere: Bereits 2012 und 2013 sah sich Sofia mit einer hohen Zahl von Asylsuchenden konfrontiert, die dann über Serbien und Ungarn weiter nach Mittel- und Westeuropa reisten. Zwar nahm die Popularität dieser Route ab, nachdem die Regierung auf Druck der EU die Kontrollen intensivierte und eine Mauer an der Grenze zur Türkei errichten ließ. Ein solches Hindernis gibt es an der Grenze zu Griechenland nicht. Allerdings gilt als wahrscheinlich, dass die chronisch unterfinanzierte bulgarische Polizei bei den Kontrollen im Falle eines wachsenden Flüchtlingsstroms rasch überfordert sein wird.
Alternativroute Albanien
Das zweite Szenario: Die Route würde sich nach Albanien verlegen. Von dort aus ließe sich dann entweder über Montenegro oder Kosovo wieder Serbien erreichen und dann an die bisherige Wegvariante anschließen, oder aber direkt über die Adria nach Italien führen. Auf der Sitzung des EU-Innenministerrats warnte Rom Anfang dieser Woche vor der Gefahr, die von einer Wiederbelebung dieser tödlichen Seeroute ausgehen könnte.
Nicht zuletzt sind auch die Auswirkungen des "slowenischen Plans" auf Mazedonien selbst alles andere als positiv. Denn als Teil dieses Deals müsste die EU womöglich ihren harten Ton gegenüber dem autoritären Machthaber in Skopje, Ministerpräsident Nikola Gruevski, ändern. Dieser steht seit Jahren für gravierende Demokratiedefizite wie Wahlfälschungen oder massive Überwachung in der Kritik. Mildere Brüsseler Töne waren in der Tat bereits in der vergangenen Woche bei einem Besuch des EU-Erweiterungskommissars Johannes Hahn zu hören.