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Die Grenze der Toleranz

Von Reinhard Göweil

Leitartikel
Chefredakteur Reinhard Göweil.

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Mit Wahlkampfauftritten in europäischen Ländern machen türkische Politiker Stimmung für ein Referendum Mitte April, bei dem die Demokratie in der Türkei weitgehend beseitigt werden soll. Nun diskutiert Europa, ob das Verbot solcher Auftritte die Redefreiheit, Grundlage jeder pluralistischen Demokratie, beschränkt.

Das tut es nicht. Diese Antwort ist klar und deutlich, der Weg zu ihr nicht. Richtig ist, dass die Freiheit von den Gründervätern der Demokratie sehr weit gefasst wurde. Nicht nur die freie Rede gehört dazu, sondern auch die Freiheit vor Not und Furcht - und natürlich der unverrückbare Grundsatz: Gleiches Recht für alle. Nichts davon erfüllt das türkische Referendum, das Gegenteil propagieren seine Proponenten. Dass sie in der Türkei ein autokratisches System heftig bewerben, ist bestürzend genug, aber warum sollen sie das auch in Europa dürfen?

Eine Demokratie muss wehrhaft sein, das lehrt die Geschichte Europas in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Dieser Grundsatz ging fast verloren, denn die westliche Wohlstandsgesellschaft begann, Demokratie mit Frieden gleichzusetzen, ja zu verwechseln. Das geht so weit, dass heute EU-Politiker meinen, ein Auftrittsverbot würde doch nur dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan helfen. Das ist dumm.

Ganz im Gegenteil muss die EU deutlich machen, dass sie der gesellschaftliche Gegenentwurf ist.

Es ist keineswegs sicher, dass Erdogan das Referendum zu seinen Gunsten entscheidet. Millionen Türken sind gegen das Präsidialsystem. Und den in der EU lebenden und arbeitenden türkischen Mitbürgern muss gesagt werden, dass politisches Rosinenpicken nicht Freiheit ist, sondern unsolidarisch und ungerecht. Aus sicherer (und demokratisch gefestigter) Entfernung für die Abschaffung der Demokratie in der Türkei zu stimmen, wäre - österreichisch ausgedrückt - eine östlichere Variante des Herrn Karl.

Diese Diskussion haben europäische Politiker zu führen. Bloßer Aktionismus von Regierungsseite hilft dabei nichts. Denn zur Wehrhaftigkeit der Demokratie gehört auch, dass heimische Politiker flächendeckend dorthin gehen, wo es wehtut - etwa in türkische Vereine. Und dort jene unmissverständliche Botschaft anbringen, die jeder demokratischen Verfassung voransteht. Leben, Freiheit und das Streben nach Glück nannten die Gründer der USA diese unveräußerlichen Rechte. Diese stammten alle aus Europa.