Während die osteuropäischen Staaten ihre Militärausgaben erhöhen, kürzen große Nato-Mitglieder in der EU ihre Budgets.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 9 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Brüssel. Panzer für die baltischen Staaten, die Wiedereinführung der Wehrpflicht in Litauen, groß angelegte Militärübungen in Polen: Die Sicherheits- und Verteidigungspolitik bekommt in der EU neuen Auftrieb. Zumindest in den osteuropäischen Mitgliedstaaten. Die Ukraine-Krise und die Aggression Russlands schüren in den ehemaligen Sowjetrepubliken Litauen, Lettland und Estland lang gehegte Ängste; Polen stellt sich an die Spitze der Verfechter einer härteren Gangart gegenüber dem Kreml. Schärfere EU-Sanktionen gegen Russland, sichtbare Nato-Präsenz an den östlichen Außengrenzen der Union wünscht sich Warschau.
Parallel dazu rüstet Polen selbst auf. Das Verteidigungsbudget wird deutlich aufgestockt, die Ausgaben sollen im kommenden Jahr zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) übersteigen. Damit wird das Land zu einem der wenigen europäischen Nato-Staaten, die diese Zielvorgabe des Militärbündnisses erfüllen. Im benachbarten Deutschland etwa beträgt der Anteil nicht einmal 1,5 Prozent - und soll heuer noch sinken. Erst für das Jahr 2017 hat das Finanzministerium eine Erhöhung des Wehretats in Aussicht gestellt. Gemessen am BIP gibt Russland da das Dreifache aus.
Die daran angrenzenden baltischen Staaten, aber auch Finnland und Schweden wollen ihre Verteidigungsbudgets ebenfalls anheben. Und sie schaffen sich mehr Ausrüstung an. Litauen will Radpanzer und Panzerhaubitzen, Schweden möchte Kampfflugzeuge und U-Boote kaufen. Während einerseits virtuelle Schlachten und Hacker-Angriffe in den Fokus der Sicherheitspolitik rücken, scheint es auf der anderen Seite eine Rückkehr zur konventionellen Kriegsplanung zu geben.
Denn der Konflikt in der Ukraine wird ebenfalls konventionell geführt, mit Truppeneinheiten, Panzer- und Raketenbeschuss, mit Angriff und Abwehr. Dass dies aber auch der Nato generell eine Trendumkehr bei der Aufrüstung bringen werde, wird in Diplomaten- und Militärkreisen bezweifelt. "Staaten, die näher bei Russland sind, wollen sich im Rahmen ihrer finanziellen Möglichkeiten stärken", sagt ein Experte. Doch diese Tendenz sei regional beschränkt.
Uneinig in Ukraine-Krise
Eine aktuelle Untersuchung des österreichischen Instituts für Strategie und Sicherheitspolitik (ISS) zu den "Auswirkungen der Ukraine-Krise auf die budgetäre Situation der europäischen Streitkräfte" bestätigt dies. Aus nationaler Perspektive sei Russlands militärische Stärke als bedrohlich wahrzunehmen, schreibt der Autor, Herwig Jedlaucnik. Doch aus europäisch-solidarischer Sicht stelle sich dies anders dar. Die Steigerungen der Militärausgaben der osteuropäischen Staaten seien daher nicht nur auf die dort wachsende Besorgnis über die Ereignisse in der Region zurückzuführen, sondern "vor allem auch als Erbringung entsprechend notwendiger Vorleistungen zu verstehen, um im Eventualfall die Solidarität der Nato-Bündnispartner einfordern zu können". Ein "strategisches Umdenken" mit budgetären Konsequenzen gebe es nur in wenigen Staaten Europas.
Eine einheitliche Reaktion auf die Krise in der Ukraine ortet der Politik-Analyst Paul Ivan ebenso nicht. "Es mangelt an einem gemeinsamen Verständnis, welche Folgen das auf die Verteidigungspolitik haben soll", erklärt der frühere rumänische Diplomat, der nun für die Brüsseler Denkfabrik EPC (European Policy Centre) tätig ist. Er weist darauf hin, dass es nicht einmal unter den Osteuropäern Einigkeit gebe: Während die Balten und Polen gern eine deutlichere - militärische sowie politische - Reaktion auf das russische Vorgehen in der Ukraine sähen, sind die Slowaken und Ungarn etwa weit zurückhaltender.
Doch auch in Bukarest werden alte Ängste wieder wach. "Rumänien ist ähnlich besorgt wie es die baltischen Staaten sind, auch wenn es dies nicht so laut ausspricht", stellt Ivan fest. Immerhin sei durch die Einnahme der Halbinsel Krim Russland näher an das ebenfalls am Schwarzen Meer gelegene Land gerückt. Rumänien gehört denn auch zu der Gruppe jener Staaten, die ihre Militärausgaben heuer und nächstes Jahr erhöhen wollen - anders als die großen EU-Mitglieder Großbritannien und Deutschland.
Dennoch will die Nato zur Beruhigung ihrer osteuropäischen Mitglieder beitragen. So sind sechs neue Stützpunkte in der Region geplant. Außerdem wird die Krisenreaktionseinheit aufgestockt. Teil davon ist eine schnelle Eingreiftruppe: Diese soll innerhalb weniger Tage verlegt werden können.