![Eine Illustration einer Frau mit Kopftuch.](https://media.wienerzeitung.at/f/216981/2500x1875/a87666ab3f/wz_podcast_header_fatima_storer.jpg/m/384x288/filters:quality(50))
Gerhard Dörfler hat vor einiger Zeit eine heftige Attacke gegen die Gewerkschaften geritten - ein Anlass, über positive und negative Seiten der Arbeitnehmervertreter nachzudenken.
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Die Idee des Kärntner Landeshauptmanns, den Gewerkschaftsbund quasi abzuschaffen, fand schon deswegen keine Unterstützung, weil der Staat in das Grundrecht auf Bildung freier Interessenvertretungen nicht eingreifen darf. Wenn deshalb nun manche allzu empört tun, sei auch einmal auf die Schattenseiten dessen geblickt, was man einst Klassenkampf nannte. Es gibt dazu einen aktuellen Anlass: Der durchgesetzte und zu lange Ausschluss von Arbeitnehmern aus neuen EU-Staaten erwies sich nicht nur als nicht notwendig, sondern er bewirkte auch durch den Entgang von neuen Arbeitskräften wirtschaftliche Einbußen.
Es ist nicht der erste Fall, in dem man nicht über den eigenen Tellerrand hinausblickte. Jahrzehntelang wurde Volksvermögen in Milliardenhöhe verpulvert, weil man die Führung von Bahn und Post de facto der jeweiligen Gewerkschaft überließ. Als Wolfgang Schüssel eine Regierung ohne die ideologische Zwillingsschwester SPÖ bildete, rief der "überparteiliche" ÖGB zum Protest auf. Dies war genau wegen jener rechtsstaatlichen Balance unzulässig, die das Koalitionsrecht sichert. Die Gewerkschaften sind ein wichtiger Bestandteil des Gemeinwesens, müssen sich aber demokratischen Wahlentscheidungen beugen. Aber man fürchtete damals den Verlust von Privilegien durch Privatisierung und Durchsetzung betriebswirtschaftlicher Grundsätze.
Unermesslich ist der Schaden, der durch das gewerkschaftsegoistische Forcieren möglichst früher Pensionierungen angerichtet wurde. Auch unser Land sündigte - wenn auch bei weitem nicht so schlimm - "griechisch", indem überzogene Sozialansprüche auf Pump erfüllt wurden. Hier fehlte einfach die nötige Sicht aufs Ganze! Diese sollten Interessenvertretungen aber niemals verlieren, vor allem dann nicht, wenn sie als Bestandteil der Sozialpartnerschaft viel Macht im Staat haben.
Sicher kann man den Vertretern von Arbeitnehmerinteressen in unserem Land bescheinigen, meist maßvoll agiert zu haben. Aber da spielt wohl auch eine Rolle, dass man den Genossen in staatspolitischen Ämtern das Leben nicht allzu schwer machen wollte. Wird das immer so sein? Es gibt Gewerkschafter, die das Einfordern der 35-Stunden-Woche im Arsenal des Interessenkampfes sorgsam einsatzfähig halten, obwohl unsere Volkswirtschaft im oft mörderischen Wettbewerb mit Billiglohnländern steht.
Das Abwägen von Gruppen- und Gesamtinteressen wird immer Thema sein. So ganz abwegig ist es also gar nicht, wenn jemand die Frage stellt, ob Machtkumulierung durch zwei einflussreiche und nicht kostenlos tätige Interessenvertretungen sinnvoll ist. Mit der Absicherung der gesetzlichen Berufsverbände in der Verfassung hat der Gesetzgeber den Kammerstaat einzementiert. Auf lange Sicht kann das sehr wohl eine staatspolitische Frage werden, die aber durch die Idee plumpen Eingriffs, wie sie jetzt aufgetaucht ist, sicher nicht lösbar sein wird.
Herbert Kohlmaier war führender Politiker der ÖVP mit dem Spezialgebiet Sozialpolitik.