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Die Grenzen der Geldverfügbarkeit

Von Paul Kellermann

Gastkommentare
Paul Kellermann ist emeritierter Professor am Institut für Soziologie der Alpen-Adria-Universität.

Zu den jüngsten Gastkommentaren über die "Modern Monetary Theory".


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In seiner Replik auf Christian Ortners Gastkommentar "Der Todeskult" berücksichtigte Oliver Picek  aufklärerisch größere Zusammenhänge des staatlichen Schuldenmachens als der gemeine Hausverstand, für den Schulden aller Art nur negativ sind. Die Sicht eines privaten Hausväterchens ist verständlich, weil die Grenzen seiner Geldverfügbarkeit (des Schuldenmachens) im Einkommen, gegebenenfalls im Gesparten oder Ererbten liegen. Doch schon für Unternehmen besteht eine völlig andere Situation: Deren Grenzen der Geldverfügbarkeit liegen in ihrer Fähigkeit, Financiers zu überzeugen, sie könnten einen Gewinn machen, indem sie dem Unternehmen Geld leihen.

Aber schon für Privathaushalte und Unternehmen ist es sinnvoll zu unterscheiden, wofür das verfügbare Geld eingesetzt wird - für die bloße Reproduktion der gegebenen Situation (Konsum) oder für die Verbesserung der jeweiligen Lebensbedingungen (Infrastruktur). Umso mehr gilt diese Unterscheidung für staatliche Haushalte, die an der Emission von Geld beteiligt sind.

Nur verengtes, hausväterliches Geldverständnis kann nicht erkennen, dass die gegen Geld entstandene öffentliche Infrastruktur genau dieses Geld längerfristig deckt, also Werte entstanden sind.

Wir alle leben von dem, was an realer Infrastruktur (Krankenhäusern, Straßen, Leitungen für Wasser-, Abwasser- und Stromversorgung etc.) erarbeitet wurde. Das dafür emittierte und verausgabte Geld fungiert danach als allgemeines Zahlungsmittel im geldgesteuerten Wirtschaftsleben.

Freilich ist durch den Zusammenschluss von ehemals geldemittierenden souveränen Staaten zu einem Wirtschaftssystem derselben Währung - wie etwa der 19 Euroländer - der Durchblick etwas schwieriger geworden. Offensichtlich so schwierig, dass selbst die Europäische Zentralbank in Frankfurt als oberste Geldemittentin der Eurozone nicht das Erfordernis der Deckung der emittierten Geldmenge durch reale Wirtschaftsleistungen berücksichtigt. Sie stellte in den vergangenen Jahren Billionen Euro zur Verfügung, die zum Großteil Finanzprodukte (Anleihen, Aktien, Zertifikate, weitere Derivate) kreierten und verteuerten, aber kaum die erwünschte Preissteigerung (Inflation) der im Warenkorb berücksichtigten Güter und Dienste um 2 Prozent pro Jahr erreichen ließen. Diese Geldmengen könnte man in einem erweiterten Verständnis als nicht durch reale Wirtschaftsleistungen gedeckte Schulden bezeichnen.

Soweit eine Erläuterung zur Argumentation von Picek. Doch anscheinend übersieht er einen größeren Zusammenhang. Geld zu emittieren, um die Wirtschaft "anzukurbeln" - schlimmer: um das zu hoch gewertete jährliche Wirtschaftswachstum zu steigern -, ohne dass der entsprechende Bedarf und das potenzielle Produktionsvermögen (verfügbare, aber nicht genutzte Produktionsfaktoren) berücksichtigt werden, ist volkswirtschaftlich zumindest fahrlässig.

Allerdings sollte gesehen werden, dass das, was als "Bedarf" wahrgenommen wird, immer vom eingenommenen Blickwinkel abhängt, also dem Zeitgeist, mithin der herrschenden Weltsicht geschuldet ist. So wird beispielsweise (aus erklärlichen Gründen) vor allem in Wahlzeiten von Parteien die "Schaffung von Arbeitsplätzen" oder sogar die "Schaffung von Arbeit" propagiert - Arbeit muss erledigt, nicht künstlich geschaffen werden! -, weil anscheinend ein ebenso beschränktes Verständnis von Arbeit (nämlich nur als Erwerbsarbeit) wie von Geld existiert.

Unter Arbeit ist sinnvollerweise jede Tätigkeit zu verstehen, die dem Leben dient, und unter Geld ein Zeichen, das Versprechen und Anspruch auf Leistungen symbolisiert. Versprechen und Anspruch sind selbstverständlich nur so lange etwas wert, solange für Geld etwas erworben werden kann, was letztlich durch Arbeit als Ware entstand. Damit kann die wirtschafts- und gesellschaftspolitisch wichtigste Funktion von Geld verstanden werden: Geld als Mittel der Organisation von erforderlicher Arbeit; erforderlich im Sinne von Sicherung und Verbesserungen individueller und kollektiver Lebensbedingungen.