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Mit Fortschreiten der Corona-Pandemie rückt das Schreckensszenario Triage in den Fokus.
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Triage - ein Wort, das seit dem Aufkommen der Corona-Pandemie nicht nur Medizinern, sondern mittlerweile auch der Öffentlichkeit Schrecken bereitet. Das notgedrungene Aussuchen von Intensivpatienten im Falle einer Überlastung der Ressourcen stand im Frühjahr etwa schon in Italien auf der Tagesordnung. Derzeit steuern viele Länder mit Maßnahmen dagegen, um ein solches Szenario unter allen Umständen zu verhindern.
Dennoch wurden in der Zwischenzeit bisherige Leitlinien zur Triage, wie sie bis dato vor allem in der Katastrophenmedizin zum Einsatz gekommen waren, in Bezug auf Covid-19 aktualisiert, um für den Fall der Fälle gerüstet zu sein. "Die Möglichkeit ist realistisch und die Hoffnung, dass es nicht passiert, ist groß", macht Thomas Staudinger, Intensivmediziner am Wiener AKH, im Gespräch mit der "Wiener Zeitung" deutlich.
20 neue Patienten pro Tag
Ein Blick auf die Zahlen spricht nahezu Bände. Zuletzt sind in Wien täglich zehn neue Patienten auf Intensivstationen aufgenommen worden. Mittlerweile sind es bis zu 20 pro Tag, schildert der Mediziner. "Es ist schon eine ziemlich angespannte Situation." Die meisten Patienten mit mehr oder weniger schweren Symptomen werden von der Notaufnahme entgegengenommen. Dort erkennen die Mediziner mittlerweile alleine anhand der typischen Symptome, ob es sich um Covid-19 handelt. Atemnot und Sauerstoffmangel seien die häufigsten Erscheinungen, die bei Fortschreiten einer Lungenentzündung zu einem Lungenversagen führen können.
Personalknappheit droht
Zwar sei Österreich sehr gut mit Geräten ausgestattet, doch müssen die Patienten aufwendig versorgt werden. "Wir benötigen Personal, das damit umgehen kann", betont Staudinger. In Großbritannien und den USA sei aus genau diesem Grund die Sterblichkeit so extrem viel höher gewesen als in Österreich. Zwar seien die Betroffenen mit Sauerstoff und Beatmungsgeräten versorgt worden, "aber niemand konnte sich darum kümmern, wie es weitergeht", so der Kliniker. "Bevor uns die Intensivbetten und die Beatmungsgeräte ausgehen, geht uns das qualifizierte Personal aus", gab zuletzt auch die Innsbrucker Intensivmedizinerin Barbara Friesenecker, auch Leiterin der Arbeitsgruppe der Österreichischen Gesellschaft für Anästhesiologie, Reanimation und Intensivmedizin, in einem APA-Interview zu bedenken.
Eine Notsituation führe dazu, dass beurteilt werden muss, wer die besten Überlebenschancen aufweist und am ehesten von einer notfallmedizinischen Behandlung vor Ort profitiert. Eine Covid-Triage-Sondersituation wäre hingegen viel diffiziler, so die Expertin. Schon im März hatte die Arge Ethik eine Art Leitfaden, die sogenannte Triage-SOP, erarbeitet, der österreichweit Anwendung finden kann.
Auch der Dachverband der intensivmedizinischen Gesellschaften Österreichs überarbeitet aktuell ein entsprechendes, auf die spezifische Situation Covid zugeschnittenes Papier, betont Staudinger. Die Experten sprechen dabei von Ressourcenallokation anstelle von Triage - also der Zuteilung von Ressourcen an Patienten, abhängig davon, wie viele Ressourcen es gibt. "In einer Situation, in der man eine gewisse Anzahl an Betten zur Verfügung hat und doppelt so viele Patienten, ist schon die Frage, wie man da vorgeht", beschreibt der Experte. Leitfäden dienen dann als Vorgaben, um individuelle Entscheidungen besser und vor allem auch transparenter treffen zu können.
Schweiz kein gutes Vorbild
Kein gutes Vorbild für ein solches Papier scheint die Schweiz geliefert zu haben. So hat die dortige Akademie der medizinischen Wissenschaften erst jüngst ein solches vorgelegt. Dieses betreffe auch sehr viele Nicht-Covid-Patienten. "Da werden keine schweren Verbrennungen mehr behandelt, da werden keine Reanimationen mehr durchgeführt, da werden Patienten mit einer ausgeprägten Vorerkrankung nicht mehr versorgt. Das ist schon heftig. Das umzusetzen, möchte ich nicht erleben", stellt Staudinger klar.
In der Auflistung finden sich detailliert zahlreiche Kriterien für eine Nichtaufnahme. Dabei heißt es in dem Leitfaden auch: "Wenn eines der Kriterien für die Nichtaufnahme vorliegt, wird der Patient nicht auf die Intensivstation eingewiesen."
Nicht alles bei jedem möglich
In Österreich wird zwischen Covid- und Nicht-Covid-Patienten kein Unterschied gemacht, stellt der Intensivmediziner klar. Alleine der medizinische Status, der Score, ist entscheidend, welche medizinische Unterstützung dem Betroffenen zuteilwird. Das sei ein ganz wichtiger Grundsatz in den Ethikprinzipien, dass es Gleichberechtigung geben muss. Und man sollte, wenn man für den Patienten nicht die beste Option anbieten kann, immer zumindest die zweitbeste suchen. "Es ist nicht so, dass wir Patienten nicht behandeln würden, sondern dass man vielleicht nicht alles bei jedem Patienten tun kann."
Dabei fordert Staudinger mehr Kommunikation und Transparenz ein, um im schlimmsten Falle auch nachvollziehbar und seriös handeln zu können.