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Die Grenzen der Meinungsfreiheit

Von Brigitte Pechar

Politik

Medienjurist Alfred Noll: "Pressefreiheit muss täglich neu errungen werden."


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Wien. 7. Jänner 2015: Anschlag auf die Redaktion der renommierten französischen Satirezeitschrift "Charlie Hebdo" mit zwölf Toten.

2002: "Das Leben des Jesus", ein Buch des österreichischen Karikaturisten Gerhard Haderer, erscheint und löst heftige Reaktionen insbesondere der katholischen Kirche aus. Der Salzburger Weihbischof Andreas Laun fordert eine Verurteilung wegen Blasphemie. Am 19. Jänner 2005 wird Haderer in Griechenland wegen Beschimpfung einer Religionsgemeinschaft in diesem Buch in Abwesenheit zu sechs Monaten Haft verurteilt. Dieses Urteil wird am 13. April 2005 korrigiert, Haderer wird freigesprochen.

2. November 2004: Der niederländische Filmregisseur Theo van Gogh wird von einem islamischen Fundamentalisten erschossen. Grund dafür ist van Goghs Dokumentation "Submission" über die Unterdrückung der Frau durch den Islam.

30. September 2005: Die dänische Tageszeitung "Jyllands-Posten" veröffentlicht unter dem Titel "Das Gesicht Mohammeds" eine Serie von zwölf Karikaturen, die den islamischen Propheten und Religionsstifter Mohammed zum Thema haben. Anfang 2006 erstellen die dänischen Imame Ahmad Abu Laban und Ahmed Akkari ein Dossier, in dem neben den zwölf Karikaturen auch welche sind, die nicht aus der "Jyllands-Posten" stammen. So ist ein betender Muslim dargestellt, der während des Gebetes von einem Hund bestiegen wird. Es kommt weltweit zu Protesten muslimischer Organisationen, vom Boykott dänischer Produkte bis hin zu gewalttätigen Auseinandersetzungen, bei denen mehr als 100 Menschen sterben.

Wo liegt die Grenze zwischen Kritik an einer Religion und Blasphemie? Wie geht Pressefreiheit und Religionsfreiheit zusammen? Muss die Freiheit der Kunst dort enden, wo religiöse Gefühle von Menschen verletzt werden? Es gibt mehrere Gesetzeswerke, die all das regeln. Allerdings bleibt vieles darin sehr vage und am Ende dem Urteil des Richters überlassen. So etwa können Gefühle von Wenigen nicht zum normgebenden Maßstab werden, betont der Medienrechtler Alfred Noll im Gespräch mit der "Wiener Zeitung" zu diesem Thema. Bei der Abwägung verschiedener Rechtsgüter - wie es etwa Religion und Pressefreiheit sind - kommt es auf die Argumentation an. "Ein Urteil steht und fällt mit der Begründung des Richters. In einer Demokratie ist es das Wesen der Rechtsfindung, Gründe anzuführen und diese zur Diskussion zu stellen", sagt Noll.

Verletzt kann sich bald jemand fühlen, es gibt dazu aber keine gesetzlichen Vorschriften, was das tatsächlich bedeutet. Die Gerichte hätten dann zu bestimmen, was objektiv eine Verletzung der Würde einer Religionsgemeinschaft ist. Das ist ein schmaler Grat, der schwer zu beurteilen ist.

Klar ist aber: Wahre Tatsachen dürfen immer verbreitet werden und auf der Basis von wahren Tatsachen darf man diese auch frei bewerten. Das, sagt Alfred Noll, sei das Korsett dessen, was man Meinungsfreiheit nenne. "Was wahr ist, darf man sagen. Das Wahre darf man dann auch frei bewerten. Mag diese Bewertung auch falsch sein, umstritten sein oder beleidigen. Wenn das Tatsachensubstrat stimmt, dann darf ich diese Tatsachen auch frei bewerten."

Das bedeute im Umkehrschluss: keine Freiheit für falsche Tatsachenbehauptungen und zweitens kein sogenannter Wertungsexzess. Also selbst wenn die Tatsachen wahr sind, muss man im Rahmen dessen bleiben, was die Tatsache vorgibt. Noll nennt dafür ein Beispiel: "Wer bei Rot über die Straße geht, darf nicht als Sexualverbrecher bezeichnet werden. Zwar habe der Mann etwas Verbotenes getan, ihn aber als Sexualverbrecher zu bezeichnen, wäre ein Wertungsexzess."

Wie etwa würde eine Karikatur, die - wie zuvor beschrieben - Mohammed darstellt, der von einem Hund bestiegen wird, in Österreich beurteilt? "Das ist nach österreichischem Verständnis strafbar, weil es eine Herabsetzung einer religiösen Lehre ist", sagt Noll. Dann kann man noch darüber debattieren, ob das durch die Freiheit der Kunst gerechtfertigt ist. "In Wirklichkeit ist das eine Frage der politischen Haltung - dafür gibt es nur scheinbar juristische Lösungen."

Unter dem Vorwand der Freiheit der Kunst ist sehr viel möglich. Das regelt der Artikel 17a des Staatsgrundgesetzes, der da sagt: "Die Kunst ist frei." Am Ende steht eine Abwägung verschiedener Rechtsgüter. Überall dort, wo das Strafgesetzbuch, um einen Bürgerkrieg zu verhindern, die Herabsetzung religiöser Lehren verbietet, muss man sich entscheiden: Was hält eine Gesellschaft aus und was hält sie nicht aus. "Meine persönliche Meinung ist: Eine solche Karikatur soll nicht verboten werden. Im Gegenteil, ich finde es kritikwürdig, dass wir solche Vorschriften überhaupt haben. Ich halte diese Karikatur nicht für witzig und für ziemlich ungustiös. Aber ich halte das nicht für strafbar", sagt Noll.

Was bedeuten Anschläge wie jener in Paris am Mittwoch für die Pressefreiheit? "Dass das, was für uns scheinbar selbstverständlich ist, erkannt wird als etwas, das gar nicht selbstverständlich ist und täglich neu errungen werden muss. Und zwar indem man sich um die gesellschaftlichen Grundlagen sorgt, die Voraussetzung für diese Pressefreiheit sind", sagt Noll. Gleichzeitig warnt der Jurist davor, gerade jetzt die Schere im Kopf wirken zu lassen. "Oft lässt man sich durch solche Verbrechen doch beeinflussen und da muss man sehr wachsam sein, damit man nicht subcutan dem nachgibt, obwohl man auf der verbalen Ebene sagt, wir werden uns nicht beeinflussen lassen."

Auch Franz C. Bauer, Präsident der Journalistengewerkschaft in der GPA-djp, betont, dass sich die Journalisten gerade jetzt noch stärker für Toleranz und die Achtung vor dem Leben einsetzen müssten. Und für ihn ist klar, dass Satire und Karikatur, selbst wenn sie Missstände und Gefahren stark überzeichnet aufzeigen, dies in Wahrnehmung ihrer Meinungsfreiheit tun dürfen müssen. "Meinungsfreiheit ist eine Säule jeder Demokratie, und zur Freiheit der Meinungsäußerung zählt auch die Freiheit von Satire und Karikatur." Der Anschlag auf das Pariser Magazin "Charlie Hebdo" zeige, dass die dort satirisch kritisierten Gefahren, die von einem militanten, fundamentalistischen Islam - und jeder totalitären Ideologie - ausgehen, keineswegs überzeichnet, sondern durch die Realität des Terrorismus in furchtbarer Weise noch übertroffen werden.

Wissen

Paragraf 188 Strafgesetzbuch: "Wer öffentlich eine Person oder eine Sache, die den Gegenstand der Verehrung einer im Inland bestehenden Kirche oder Religionsgesellschaft bildet, oder eine Glaubenslehre, einen gesetzlich zulässigen Brauch oder eine gesetzlich zulässige Einrichtung einer solchen Kirche oder Religionsgesellschaft unter Umständen herabwürdigt oder verspottet, unter denen sein Verhalten geeignet ist, berechtigtes Ärgernis zu erregen, ist mit Freiheitsstrafe bis zu sechs Monaten oder mit Geldstrafe bis zu 360 Tagessätzen zu bestrafen."

Im "Ehrenkodex für die österreichische Presse" ist unter Punkt 7.3. festgehalten: "Eine Herabwürdigung oder Verspottung von religiösen Lehren oder anerkannten Kirchen und Religionsgemeinschaften, die geeignet ist, berechtigtes Ärgernis zu erregen, ist unzulässig."

Im Artikel 10 (Freiheit der Meinungsäußerung) der Europäischen Menschenrechtskonvention (die in Österreich im Verfassungsrang ist) heißt es: "(1) Jede Person hat das Recht auf freie Meinungsäußerung. Dieses Recht schließt die Meinungsfreiheit und die Freiheit ein, Informationen und Ideen ohne behördliche Eingriffe und ohne Rücksicht auf Staatsgrenzen zu empfangen und weiterzugeben. Dieser Artikel hindert die Staaten nicht, für Hörfunk-, Fernseh- oder Kinounternehmen eine Genehmigung vorzuschreiben. (2) Die Ausübung dieser Freiheiten ist mit Pflichten und Verantwortung verbunden; sie kann daher Formvorschriften, Bedingungen, Einschränkungen oder Strafdrohungen unterworfen werden, die gesetzlich vorgesehen und in einer demokratischen Gesellschaft notwendig sind für die nationale Sicherheit, die territoriale Unversehrtheit oder die öffentliche Sicherheit, zur Aufrechterhaltung der Ordnung oder zur Verhütung von Straftaten, zum Schutz der Gesundheit oder der Moral, zum Schutz des guten Rufes oder der Rechte anderer, zur Verhinderung der Verbreitung vertraulicher Informationen oder zur Wahrung der Autorität und der Unparteilichkeit der Rechtsprechung."

Artikel 17a Staatsgrundgesetz: "Das künstlerische Schaffen, die Vermittlung von Kunst sowie deren Lehre sind frei."