Das am 6. Oktober ergangene EuGH-Urteil stellte noch einmal klar: Die Grenzen, die für den Staat bei der Datenerhebung gelten, kann dieser nicht umgehen, indem er per Gesetz private Anbieter zur Datenerhebung und -weitergabe an den Staat verpflichtet.
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Die flächendeckende und anlassunabhängige Vorratsdatenspeicherung – also die Speicherung von Verbindungs- und Aufenthaltsdaten bei Kommunikation via Telefon und Internet – ist ein umstrittenes Thema. Und das zu Recht, geht es dabei doch um fundamentale Grundrechtsfragen. Über Vorlage des österreichischen Verfassungsgerichtshofs erklärte der Europäische Gerichtshof (EuGH) bereits 2014 die EU-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung für ungültig. Im Jahr 2016 erging eine weitere Entscheidung des EuGH, mit welcher der unterschieds- und anlasslosen Vorratsdatenspeicherung ein Riegel vorgeschoben wurde.
Der Streit um die Vorratsdatenspeicherung ging jedoch in eine weitere Runde. Die neue Frage: Gilt der durch Grundrechtecharta und E-Privacy-Richtlinie normierte Schutz der Bürger auch in jenen Fällen, in denen Telekommunikationsanbieter den Nachrichtendiensten und der Polizei aus Gründen der öffentlichen Sicherheit die Verbindungs- und Aufenthaltsdaten zur Verfügung stellen müssen? Die Besonderheit ergibt sich dabei aus dem Umstand, dass das Unionsrecht für Angelegenheiten der nationalen Sicherheit Ausnahmen vom Grundrechtsschutz erlaubt.
Trotz erhöhten Drucks der Mitgliedstaaten und der Europäischen Kommission hielt der EuGH mit seiner Entscheidung am 6. Oktober an seiner bisherigen Rechtsprechung fest. Der EuGH hob hervor, dass auch in jenen Fällen, in denen sich der Staat privater Telekommunikationsunternehmen zur Datenerhebung bedient, der Grundrechtsschutz anwendbar sein muss. Anders ausgedrückt: Die Grenzen, die für den Staat bei der Datenerhebung gelten, kann dieser nicht umgehen, indem er per Gesetz private Anbieter zur Datenerhebung und -weitergabe an den Staat verpflichtet.
Möglichkeiten der Einschränkungen des Verbots
Doch ist das Thema Vorratsdatenspeicherung damit endgültig vom Tisch? Mitnichten. Der EuGH schloss sich den Ausführungen seines Generalanwalts an und zeigte die Möglichkeiten der Einschränkungen des allgemeinen Verbots der Vorratsdatenspeicherung auf:
Nach Ansicht des EuGH steht es dem nationalen Gesetzgeber frei, im Einklang mit den allgemeinen Grundsätzen des Unionsrechts sowie den Grundrechten gezielte und zeitlich auf das unbedingt notwendige Ausmaß beschränkte Speicherungen von Verkehrs- und Standortdaten vorzusehen, um schwere Straftaten aufzuklären oder Angriffe auf die nationale Sicherheit abzuwehren. Solche schweren Straftaten oder Angriffe müssen bereits festgestellt oder zumindest ernsthaft vermutet werden. Eine Erhebung dieser Daten dürfe aber erst nach erfolgter Genehmigung durch Gerichte oder unabhängige Verwaltungsbehörden erfolgen.
Davon losgelöst soll es den Mitgliedstaaten erlaubt sein, zur Abwehr außergewöhnlicher Gefahren – also im Notstand – für einen zeitlich begrenzten Zeitraum die verpflichtende Vorratsdatenspeicherung im für den Einzelfall notwendigen Ausmaß und unter Wahrung der Rechtsschutzgarantien einzuführen. Jedoch ist auch in diesem Fall die Erhebung der Daten auf Personen oder konkrete Personengruppen zu beschränken, bei denen ein begründeter Verdacht besteht.
Handlungsspielraum für EU-Staaten stark eingeschränkt
Bedeutet das eine Legitimierung der Vorratsdatenspeicherung durch die Hintertür? Nein. Der EuGH formuliert ein enges Korsett. Der Handlungsspielraum für die Mitgliedstaaten ist stark eingeschränkt. Es bleibt zu hoffen, dass die nationalen Gesetzgeber und Behörden sich daran halten und durch überschießende Regelungen oder Handhabungen nicht die nächste Klarstellung durch den EuGH notwendig machen.
Die Entscheidung des EuGH zur Vorratsdatenspeicherung vom 6. Oktober ist somit mehr Evolution als Revolution. Trotz der immer wieder aufkommenden Rufe nach einer allgemeinen Speicherpflicht auf Vorrat setzte der EuGH seine strenge und kritische Spruchpraxis zur Vorratsdatenspeicherung unbeirrt fort. Bemerkenswert sind die vom EuGH skizzierten Ausnahmemöglichkeiten zum generellen Verbot der Vorratsdatenspeicherung. Es bleibt zu hoffen, dass die Mitgliedstaaten von diesen Möglichkeiten nicht unreflektiert Gebrauch machen, sondern die vorgegebenen Leitlinien im Detail beachten.
Der österreichische Gesetzgeber ist nun gefragt
Auch der österreichische Gesetzgeber ist nun gefragt und wird in Anbetracht dieser Entscheidung seine Anlassdatenspeicherung – ein sogenannter "Quick-Freeze" – überprüfen müssen. Denn diese stellt aktuell nicht auf die Schwere der jeweiligen Straftat ab, was jedoch nun jedenfalls notwendig erscheint.