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Die Grenzen der Zumutbarkeit

Von Matthias G. Bernold, Zell am See

Wirtschaft

Das Wirtschaftsleben wird härter, der Arbeitsmarkt enger. Und auf Arbeitslose wächst der Druck, auch Jobs anzunehmen, die schlechter bezahlt, weiter entfernt oder aus einer anderen Branche sind. Wo verlaufen die Grenzen des Zumutbaren?


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Die "Zumutbarkeit" fand als (Druck-)Mittel aktiver Arbeitsmarktpolitik ihren Weg ins Gesetz, um Menschen schneller wieder in den Arbeitsmarkt zu integrieren und Langzeitarbeitslosigkeit zu verhindern. Ausgangspunkt ist §9 des Arbeitslosenversicherungsgesetzes, wo es heißt, dass "Arbeitswilligkeit" dann gegeben ist, "wenn jemand bereit ist, eine zumutbare Beschäftigung anzunehmen". Ist der Versicherte "nicht arbeitswillig", d.h. lehnt er eine ihm zugewiesenen Beschäftigung ab, obwohl sie zumutbar wäre, verliert er - für die Dauer der Weigerung, mindestens aber für sechs Wochen - seinen Anspruch auf Arbeitslosen-Unterstützung. Laut Gesetz muss die neue Arbeit "den körperlichen Fähigkeiten angemessen sein", Gesundheit und Sittlichkeit dürfen nicht gefährdet werden. Schließlich spricht das Gesetz von "angemessener Entlohung und Wegzeit".

Welche Tätigkeit zumutbar ist und welche nicht - darüber lässt sich im Einzelfall streiten. "Es geht darum, zwischen den Interessen der Allgemeinheit und denen des Versicherten abzuwägen", erklärte Matthias Neumayr, Richter am Obersten Gerichtshof bei der Arbeits- und Sozialrechtstagung, die am Freitag in Zell am See zu Ende ging.

Beruflicher Abstieg

War es vor Jahren noch die Regel, dass ein Arbeitnehmer einer bestimmten Branche treu blieb und - wenn er seine Beschäftigung verlor - in der selben Sparte weiter vermittelt wurde, ist dieser sogenannte Berufsschutz heute reduziert. Immer mehr wird der Berufsschutz durch Entgeltsschutz abgelöst: Nicht ein Verbleib in der Branche wird zugesichert, sondern ein bestimmtes Einkommen. Neumayr dazu: "Auch wenn man derzeit nicht generell vom Ersatz des einen durch das andere System sprechen kann."

Den Arbeitnehmern wird eine höhere Bereitschaft abverlangt, sich stetig neu zu qualifizieren und für neue Branchen einsatzfähig zu machen. Zur Anwendung kommen zeitliche Grenzen: Laut Arbeitsmarktreformgesetz 2004, das am 1. Jänner 2005 in Kraft trat, besteht Berufsschutz für Arbeitssuchende während der ersten 100 Tage. Einen Entgeltsschutz von 80 Prozent der Bemessungsgrundlage gibt es in den ersten 120 Tagen.

Nach dieser Frist muss der Arbeitssuchende weitere Abschläge in Kauf nehmen: Sein neues Gehalt gilt als zumutbar, wenn es zumindest bei 75 Prozent der Bemessungsgrundlage liegt. Generell genießen Arbeitslose mit höherer Qualifikation auch höheren Berufsschutz als schlechter Qualifizierte. Je schlechter die Ausbildung, desto eher muss sich der Arbeitslose mit einer Beschäftigung in einer anderen Branche anfreunden.

Relativ detailliert regelt das Gesetz die Grenzen des Zumutbaren bei den Wegzeiten. Auch wenn es laut Neumayr "einige schwammige Ausnahmen und Unterausnahmen" gibt. Als noch zumutbar gelte es, wenn nicht mehr als ein Viertel der täglichen Normalarbeitszeit für Hin- und Retourweg aufgewendet werden muss. Überschreitungen gibt es in Ausnahmefällen: "Etwa wenn besonders günstige Arbeitsbedingungen vorliegen oder der Versicherte in einer Region mit besonders hoher Auspendlerquote wohnt."

Atypische Dienstverhältnisse

Immer mehr nimmt die Zahl atypischer Arbeitsverhältnisse zu. Oft wird die selbe Tätigkeit in unterschiedlichen Rechtsformen nacheinander oder auch nebeneinander ausgeübt. Für Arbeitslose ist die (Schein)-Selbstständigkeit oft der einzige Weg zurück in die Arbeitswelt. Das Problem: Von einer versicherten Rechtsform treten sie in eine unversicherte Form über. Ob so eine Erwerbstätigkeit ohne gesetzlichen Versicherungsschutz prinzipiell zumutbar ist, bezweifelt Neumayr. Die Judikatur sei hier durchaus unterschiedlich. Lehnt ein Arbeitsloser eine solche Tätigkeit ohne Versicherungsschutz ab, sollte dies - nach Meinung Neumayrs - nicht als Pflichtverletzung gewertet werden.

Tätigkeit im Ausland

Im Lauf der vergangenen Jahre wurden die Arbeitsämter über die staatlichen Grenzen hinaus miteinander vernetzt. Somit bietet das AMS nun auch Jobs im benach-

barten Ausland an. Nach Meinung des Experten darf die Ablehnung einer Arbeitsstel-le im Ausland allerdings "grundsätzlich nicht zu Sanktionen führen". Ausnahmen bestünden dann, "wenn der Versicherte in der Vergan-genheit bereits dokumentiert hat, dass eine Beschäftigung im Ausland kein Problem für ihn darstellt."