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Die Grenzen des gläsernen Autors

Von Edwin Baumgartner

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"Die italienische Übersetzerin Anita Raja hat per Twitter zugegeben, sich hinter dem Pseudonym Elena Ferrante zu verbergen."

So liest man es in diversen Varianten der Wortstellung. Aber welch eine Wortwahl: "zugegeben"!

Als wäre die Autorin eine Straftäterin, der Enthüllungsjournalist Claudio Gatti der Ankläger und das Leserpublikum Richter und Geschworene zugleich.

Mit Methoden, für die früher manch Aufdecker in Italien mit den Füßen im Betonsockel die Unterwasserwelt der Bucht von Neapel erkunden musste, hat der Journalist die Autorin gejagt. Sie habe durch ihre literarische Arbeit "jedes Recht verwirkt, hinter ihren Büchern zu verschwinden", so seine Argumentation. Welch eine Anmaßung. Doch Elena Ferrante - oder Anita Raja, es ist egal - ist keine Mafiosa: Nirgends ein Rauschgiftgeschäft, nirgends ein Betrug, nirgends eine Steuerhinterziehung. Einfach nur ein Spiel, eine Mystifikation, die eine Aura schafft.

Aber die Geschichte nimmt gerade eine weitere Wendung: Der Twitter-Account mit dem "Geständnis" von Anita Raja soll gefälscht sein, heißt es aus dem Verlag, der Elena Ferrantes Bücher herausbringt. Schlägt die Verhüllung am Ende doch noch den Enthüllungsjournalisten?

Die Hoffnung lebt. Denn nichts ist langweiliger als ein aufgedecktes Pseudonym, hinter dem sich kein prominenter Name verbirgt. So gesehen freilich könnte Gatti noch segensreiche Arbeit leisten: Das Pseudonym William Shakespeare wartet nur darauf, aufgedeckt zu werden. Ein allfälliger John Hopkins wäre uninteressant. Aber wie wär’s mit Königin Elizabeth I.?