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Die Grenzen des Streits

Von Walter Hämmerle

Leitartikel
© WZ

Zur Freiheit gehört Streit, zur Demokratie der friedliche Konflikt. Wehe dem, wer dagegen verstößt.


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Streit, auch wenn er hart und persönlich ausfällt, gehört zur freien Gesellschaft, die Konfrontation von Alternativen zur Demokratie. Die Idee von der sozialen Harmonie ist per se vielleicht nicht autoritär, aber alle Versuche, diese Harmonie von oben zu oktroyieren, sind es ganz gewiss. Für China oder - auf unterschiedliche Weise - Singapur gilt die öffentliche Austragung von Konflikten als Gefahr für den Zusammenhalt, nach unseren Vorstellungen liegt darin die Voraussetzung für Kompromisse, die von allen, jedenfalls von den allermeisten akzeptiert werden.

So gesehen ist auch die Klage über die gesellschaftliche Spaltung mit Vorsicht zu genießen. Unsere Gesellschaften SIND gespalten, und weil das so ist, haben wir friedliche Wege entwickelt, um trotzdem eine Einheit zu bilden. Das Schlüsselwort in diesem Zusammenhang lautet "friedlich" beziehungsweise "gewaltfrei". Das ist die Grenze, die zu überschreiten nicht akzeptabel ist, nicht akzeptiert werden darf. Denn damit verlassen die Akteure den zulässigen Raum für die Konfliktaustragung und werden ein Fall für das Strafrecht.

An diesem Punkt sind die westlichen Demokratien jetzt angelangt. In Deutschland ermitteln die Behörden bereits wegen konkreter Verdachtsmomente für einen Mordanschlag auf einen Ministerpräsidenten. Auch in Österreich häufen sich die Drohungen bis hin zu Mord gegen Personal in den Spitälern, Politiker in Regierungsverantwortung, öffentlich auftretende Experten und Journalisten. Mit den Plänen für eine allgemeine Impfpflicht eskaliert, so scheint es derzeit, auch der Protest der Gegner in Sprache und Absicht. Die Sicherheitsbehörden müssen den Schutz von betroffenen Personen und Einrichtungen hochfahren. Seit Tagen läuft eine konzertierte Kampagne samt angekündigten Aufmärschen gegen Medien, die seriös über die realen Gefahren des sich ständig verändernden Virus berichten.

Diese Bereitschaft, die Grenzen der zulässigen Widerwehr zu überschreiten, ist nicht vom Himmel gefallen. Den Anschein von Rechtfertigung erhält sie durch eine Rhetorik, die vorgaukelt, die Impfpflicht sei ein Verstoß gegen demokratische Grundsätze und rechtfertige deshalb auch die Anwendung von Gewalt. Diese Selbststilisierung von vorgeblich legitimem Widerstand gegen einen illegitimen Zwang ist ein Hirngespinst, das in einem demokratischen Rechtsstaat nicht zu tolerieren ist.

Wer mit Gewalt droht oder diese anwendet, wird zum Fall für die Gerichte. An diesem Punkt endet der demokratische Diskurs. Das sollten auch all jene unmissverständlich klarstellen, die gegen die Maßnahmen politisieren.