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"Die Griechen haben die Troika in die Wüste geschickt"

Von Ferry Batzoglou

Politik
Alexandros und Polyxeni Stavropoulos nach ihrer Stimmabgabe bei den griechischen Parlamentswahlen am Sonntag, den 25.01.2015, vor dem Wahllokal im Athener Stadtteil Polygonos im 1. Wahlkreis von Athen
© Foto: Ferry Batzoglou

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Athen. Stavros Gavalas, 83, wohnhaft im dichtbesiedelten Athener Stadtteil Gysi, war am gestrigen Sonntag der vielleicht unglücklichste Grieche im ganzen Land. Früher sei er noch Stammwähler der bis dahin omnipotenten Pasok-Sozialisten gewesen, erzählt er.

Doch mit der Krise fiel auch Gavalas' Lebensstandard dramatisch, nach einem harten Arbeitsleben wohlgemerkt. Seine Rente wurde drastisch gekürzt. Überdies muss der Rentner für die Medikamente, die er täglich schlucken muss, nun tiefer in die Tasche greifen. Am Sonntag wollte Gavalas jedenfalls unbedingt wählen gehen. Was er wählen wollte: Das Bündnis der Radikalen Linken (Syriza). Aus Wut, aus Protest, aber auch mit der Hoffnung, dass mit Syriza schon "alles besser" werde.    

Die Anspannung war zu groß
Doch am Samstagabend stieg plötzlich Stavros Gavalas' Blutdruck. Er war so hoch, dass ihn seine besorgten Verwandten ins Krankenhaus "Evangelismos" einlieferten. Die Diagnose: Gavalas' Anspannung war zu gross  - wohl wegen der Parlamentswahlen in Griechenland.

Stavros Gavalas musste den ganzen Tag im Krankenhaus bleiben. So konnte er der potentielle Syriza-Wähler nicht wählen gehen - und war darüber "sehr traurig". Den Wahlausgang sah er sich dafür in seinem Krankenzimmer im Fernsehen an.  

Denkwürdige Parlamentswahlen
Gleichwohl: diese ihr fehlende Stimme konnte Syriza gut verkraften. Schon um Schlag 19 Uhr Ortszeit, als die 19.449 Wahllokale in ganz Griechenland schlossen und ein halbes Dutzend führender Athener Meinungsforschungsinstitute via Fernsehen prompt zeitgleich die Ergebnisse der ersten Exit Polls veröffentlichten, war klar: Syriza hat nicht nur die denkwürdigen Parlamentswahlen zu Füssen der Akropolis klar für sich entschieden. Die bis dato führende Athener Oppositionspartei hat die konservative Regierungspartei Nea Dimokratia (ND) unter Premierminister Antonis Samaras regelrecht gedemütigt.

Dem im angesehenen Athener Privatsender Skai TV veröffentlichten Exit Poll der Universität Makedonien zufolge habe Syriza 36 bis 39 Prozent der Stimmen auf sich vereint. Für die Nea Dimokratia hätten ferner lediglich 24 bis 27 Prozent der Griechen gestimmt. Es folgen die neue "Fluss"-Partei ("To Potami") mit 6,5 bis 8,5 Prozent, die rechtsextreme Goldene Morgenröte (6,0 bis 8,0%), die stalinistisch-orthodoxe Kommunistische Partei Griechenlands (5,0 bis 7,0%), die bisher mit der ND mitregierenden Pasok-Sozialisten (4,0 bis 6,0%) sowie die Unabhängigen Griechen (bis 4,5%).  

Absolute oder Koalition
Unklarheit herrschte am Sonntagabend nur noch darüber, ob Syriza die absolute Mehrheit der Mandate im Athener Parlament erringen werde. Die Beobachter sind sich einig: Falls Syriza keine Alleinregierung stellen könnte, böten sich als potentielle Koalitionspartner für Syriza vor allem die "Unabhängigen Griechen" an. Die "Fluss"-Partei To Potami oder die Pasok-Sozialisten haben hingegen schlechte Karten. Der Grund: Sie sind unsisono für die Fortsetzung des rigiden Spar- und Reformkurses in Athen - im Gegensatz zu Syriza.

Ein Tabu für den klaren Wahlgewinner Syriza ist ferner eine Grosse Koalition mit der Nea Dimokratia oder eine Koalition mit der Neonaz-Partei Goldene Morgenröte. Obendrein ziehen die Kommunisten keine Koalition mit Syriza in Erwägung. Der Grund: Sie sind kategorisch für den sofortigen Austritt Griechenlands aus der EU und der Nato - im Gegensatz zu Syriza.                  

Der Syriza-Triumph hatte sich schon früh am Wahltag abgezeichnet. Ihre Stimme gaben Alexandros und Polyxeni Stavropoulos im Wahllokal in der "Theologou Ioannidis"-Strasse im Athener Stadtteil Polygono ab. "Ich bin zuversichtlich. Ich glaube, Griechenland wird eine bessere Zukunft haben. An Samaras' Schwarzmalerei und Panikmache, falls Syriza an die Macht komme, habe ich zu keinem Zeitpunkt geglaubt. im Gegenteil. Es hat mich noch sicherer gemacht, dass ich die richtige Wahl treffen werde. Ich hatte schon lange meine Entscheidung getroffen, was ich wählen werde", sagte Polyxeni Stavropoulos vor dem Wahllokal dieser Zeitung (siehe Foto oben, Foto-Credit: Ferry Batzoglou).

Das war bei vielen Griechen anders. Experten zufolge habe sich ein Viertel der griechischen Wähler erst in der letzten Woche oder sogar erst am Wahltag entschieden, welcher Partei sie ihre Stimme geben. Konkret taten dies 13,2 Prozent der Griechen erst am Sonntag, weitere 12,1 Prozent fällten ihre Entscheidung erst im Laufe der vorigen Woche. Offenbar warf das Gros der unentschlossenen Griechen bei dem wegweisenden Urnengang den Wahlzettel von Syriza in die Wahlurnen - und nicht einen der übrigen 21 angetretenen Parteien.

ND-Politiker wünscht Syriza-Regierung "viel Glück"
Als erster Parteiführer hatte Noch-Premier Antonis Samaras am Sonntagmorgen in seinem Heimatort Pylos im Südwesten des Peloponnes seine Stimme abgegeben. Samaras konnte sich anschliessend einen Seitenhieb gegen Syriza nicht verkneifen."Ich bin davon überzeugt, dass kein Grieche den Werdegang unseres Vaterlandes in Europa gefährden wird. Heute entscheiden wir Griechen, ob wir mit Kraft und Sicherheit voranschreiten oder in ein Abenteuer stürzen", sagte Samaras vor laufenden Fernsehkameras. Doch nur wenige Stunden später musste der gewöhnlich vollmundige ND-Spitzenpolitiker Adonis Georgiadis das Wahldebakel für seine Partei kleinlaut einräumen. "Ich wünsche der neuen Syriza-Regierung viel Glück", sagte Georgiadis.      

Syriza-Chef Alexis Tsipras nahm sein Wahlrecht am Sonntag unweit seiner Wohnung im Athener Arbeitervorort Kypseli wahr."Heute ist ein historischer Tag. Das griechische Volk ist dazu geladen, den letzten Schritt zu gehen. Es geht darum, ob die Hoffnung zurückkehrt und die Angst ein Ende findet. Heute entscheiden wir Griechen, ob die Troika (Athens öffentliche Geldgeber aus EU, EZB und Internationalem Währungsfonds, Anm.) nach Griechenland zurückkehrt und ihre gescheiterte Politik fortsetzt oder nicht", sagte Tsipras mit einem breiten Lachen im Gesicht.

Deutlicher formulierte der Syriza-Politiker Vassilis Primikiris das, was Brüssel, Berlin, Frankfurt am Main und Washington mit einer Syriza-Regierung fortan wohl blüht."Wir werden niemals akzeptieren, dass Deutschland und Frau Merkel mit ihrem Finanzkrieg gegen Griechenland und andere Euro-Länder das zu erreichen versuchen, was sie im Zweiten Weltkrieg nicht geschafft haben", sagte der 60-jährige Syriza-Kandidat im 2. Wahlkreis von Athen am Sonntagabend dieser Zeitung. "Wird Griechenland seine Staatsschuld in Höhe von aktuell 321 Milliarden Euro abstottern?" Primikiris lapidar: "Wir sollen die Schulden bezahlen? Welche Schulden? Wir haben unsere Schulden doch schon längst bezahlt."

Sein Parteifreund Panagiotis Lafazanis, Chef des linken Syriza-Flügels, griff in einer Talkrunde im Athener Privatsender "Star Channel" nach einem Statement eines Pasok-Vertreters, wonach die Troika von der neuen Athener Regierung unbeirrt neue Sparmassnahmen fordern werde, in scharfer Form an. Lafazanis polterte: "Sie haben wohl den Wahlausgang nicht verstanden! Die Griechen haben den Austeritätskurs, die Troika und deren bisherige Befehlsempfänger in Athen in die Wüste geschickt."