Vor der Präsidentenwahl nährt der rechtspopulistische Amtsinhaber Bolsonaro das Narrativ von manipulierten Wahlen.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 1 Jahr in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Am Ende werfen die großen Rivalen sogar die brasilianischen Superstars in die Waagschale: Während der linksgerichtete Luiz Inacio Lula da Silva auf die Unterstützung der Sängerin Anitta - sie hat 63 Millionen Follower in den sozialen Medien - bauen kann, überraschte der Fußballer Neymar - er hat sogar 179 Millionen Follower - unmittelbar vor den Wahlen mit seiner Unterstützungserklärung für den rechtspopulistischen Amtsinhaber Jair Bolsonaro.
Ob das noch einmal die Kräfteverhältnisse verändern wird, bleibt abzuwarten. Eigentlich sagen die Umfragen einen Wahlsieg Lulas voraus, einige Institute halten sogar einen Erfolg des ehemaligen Präsidenten (2003 - 2011) im ersten Wahlgang für möglich. Als wahrscheinlicher aber gilt ein Sieg Lulas in einer Stichwahl Ende Oktober.
Ganz entscheidend ist im ersten Durchgang am Sonntag, ob die Wähler der gemäßigten Mitte-links und Mitte-rechts-Kandidaten Ciro Gomes und Simone Tebet, die zusammen auf etwa 14 Prozent der Stimmen kommen, noch an ihren Kandidaten festhalten oder schon jetzt ins Lager der Favoriten wechseln. Aus dem Lula-Lager kam deshalb ein Appell an die Gomes-Wähler, ihre Stimme im ersten Durchgang nicht zu "verschenken". Das sorgte für scharfe Kritik im Lager von Ciro Gomes.
Widersprüchliche Aussagen und ein Spiel mit der Angst
Zwischen Umfragen und Wahrnehmungen klafft derzeit vor allem beim Präsidenten eine große Lücke: Geht es nach dem rechtspopulistischen Amtsinhaber Bolsonaro, dann ist eine Niederlage im ersten Durchgang der Präsidentschaftswahlen am Sonntag in Brasilien ohnehin ausgeschlossen. Bolsonaro sieht sich auf der Siegerstraße. Dass der Amtsinhaber bewusst das Narrativ einer Wahlmanipulation schürt, sorgt für Nervosität und Furcht. Die Angst, es könnte sich ein ähnliches Szenario wiederholen wie in den USA am 6. Jänner 2021, als Wahlverlierer Donald Trump indirekt zum Sturm auf das Parlament aufforderte und eine gewaltbereite aufgeputschte Masse das Kapitol stürmte, geht im Lula-Lager um.
Bolsonaro spielt mit dieser Angst. Einmal sagt er, im Falle einer Niederlage ziehe er sich aus der Politik zurück, dann suggeriert er, die elektronischen Wahlurnen seien manipulierbar und fehlerhaft. Für seine Behauptungen kann er keine Beweise vorlegen. Stattdessen fordert er eine parallele Auszählung der Stimmen durch die Militärs. Seit Wochen liegt er wegen seiner umstrittenen Wahlkampfführung im Streit mit der Wahlbehörde und dem Obersten Gerichtshof, was er wiederum als Einmischung und Manipulation interpretiert.
Es würden "betrügerische und beleidigende Informationen gegen den demokratischen Rechtsstaat und die Justiz, insbesondere die Wahljustiz" verbreitet, um den Wahlprozesses zu diskreditieren und zu stören, hieß es dazu vor wenigen Tagen vom Obersten Wahlgericht TSE, nachdem in den letzten Tagen vor der Wahl erneut Fake-News aus Kreisen des Bolsonaro-Lagers über die Fehleranfälligkeit der Wahlurnen verbreitet wurden.
Aus den USA kommen wegen des Trump-Traumas Forderungen, die Biden-Administration solle das Ergebnis sofort anerkennen. EU-Parlamentarier bringen Sanktionen gegen Brasilien ins Spiel, falls Bolsonaro eine Niederlage nicht anerkennen werde.
Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch appelliert unterdessen an die Institutionen: "Wahl- und Justizbehörden, Polizeikräfte und andere Behörden sollten ihr Möglichstes unternehmen, um die Meinungs- und Versammlungsfreiheit zu schützen und sicherzustellen, dass die Brasilianer sicher wählen können", sagt die Amerika-Direktorin Juanita Goebertus. "Hassreden und Belästigungen online und offline sowie schwere politische Gewalt haben vielen Brasilianern Angst gemacht, ihre politische Meinung zu äußern und ihre politischen Rechte auszuüben."
Drei Anhänger von Lula seien mutmaßlich wegen ihrer politischen Ämter getötet worden, einer im Juli und zwei im September. Präsident Bolsonaro wurde im Wahlkampf 2018 Opfer eines Messerattentats, heißt es in einer Erklärung von Human Rights Watch.
Brasilia ist weit weg von den Metropolen
Einhergehend mit der Furcht vor der Eskalation des Klimas ist in Brasilien auch eine Debatte über den Waffenbesitz entbrannt. Das Bolsonaro-Lager hatte sich für eine Liberalisierung des Waffengesetzes eingesetzt, dadurch ist der private Waffenbesitz in Brasilien stark angestiegen. Auch das befeuert die Furcht, dass sich radikale Bolsonaro-Anhänger im Falle einer Niederlage zusammenschließen und einen ähnlichen Sturm wie in Washington 2021 planen könnten.
Allerdings ist Brasilia weit weg von den bevölkerungsreichen Metropolen Sao Paulo und Rio de Janeiro oder dem Nordosten des Landes. Die Militärs haben bereits klar gemacht, dass sie das Wahlergebnis akzeptieren werden.