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Die große Angst vor der Hängepartie

Von Konstanze Walther

Politik

Dank Briefwahl und Gerichtsprozessen: Der Gewinner der US-Wahl steht womöglich erst lang nach dem 3. November fest.


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Dass das Jahr 2020 ganz im Zeichen der Pandemie steht, ist außer Frage. Etwas, was auch das Wahlverhalten der Menschen in Demokratien beeinflusst. Denn wer geht schon freiwillig in einen geschlossenen Raum, um sich dort während des Wartens und Anstehens eventuell anstecken zu lassen. Es ist also auch ein Jahr der Briefwahl und Wahlkarten.

Das wirft aber einen Strauß an neuen Problemen auf. Bei der jüngsten Wienwahl wurde etwa die Wahlordnung Corona-bedingt geändert: Früher war die Auszählung der Briefwahlstimmen bis am Montag, dem nächsten Tag, zwingend. Für dieses Mal beschloss man bereits im Vorfeld: Es gibt bei der Auszählung keine Deadline, sondern es wird dauern, solange es dauert.

Ganz anders ist es in den USA. Zunächst ist es von Bundesstaat zu Bundesstaat unterschiedlich, ob und unter welchen Bedingungen Wahlkarten überhaupt beantragt werden können. Und dann ist es noch Sache jedes Bundesstaates, bis wann die Wahlkarten angenommen und ausgezählt werden.

In Alabama muss die Briefwahlkarte etwa spätestens einen Tag vor dem Wahltag aufgegeben worden sein - und spätestens zu Mittag am Wahltag bei der Wahlbehörde angekommen sein. In Alaska kann man auch am Tag der Wahl seine Briefwahl abgeben - und die Stimme wird berücksichtigt, solange sie bis zu zehn Tagen nach der Wahl eingetroffen ist. Kalifornien räumt seinen Bürgern sogar 17 Tage ein, bis dass die Wahlkarte schließlich eingetrudelt ist.

Wenn es sich um Bundesstaaten handelt, deren Wahlverhalten keine großen Überraschungen bringt - Alabama und Alaska wählen traditionell die Republikaner, Kalifornier stimmen für die Demokraten -, werden die Wahlkarten ohnedies nur mit einem milden Interesse verfolgt.

Spannend wird es aber in den Battleground-States wie Florida, Pennsylvania oder Wisconsin, wo jede einzelne Stimme schließlich wahlentscheidend sein kann.

In Florida müssen die Wahlkarten um 19 Uhr abends eingetroffen sein. In Wisconsin um 20 Uhr abends. Aber in Pennsylvania dürfen sie bis zu drei Tage nach dem Wahltag eintreffen, sofern sie spätestens Wahltag in den Briefkasten geworfen worden sind. Dagegen haben zwar die Republikaner zuletzt geklagt, aber der Supreme Court hat diese alte Regelung diese Woche bestätigt.

Dass in diesem Jahr extrem viele US-Amerikaner per Brief wählen werden, hat so manche Staaten dazu bewegt, darüber nachzudenken, ob auch ihre Deadline nicht nach hinten verlegt werden soll. Denn einerseits wird die US-Post vielleicht mit den Wahlkarten überfordert sein, und sie nicht fristgerecht zustellen. Andererseits werden die Helfer in den Wahllokalen überfordert sein, alle rechtzeitig zu zählen. Gerade in den Swing States Wisconsin und Pennsylvania können nämlich Briefwahlkarten erst am Tag der Wahl überhaupt ausgezählt werden (in anderen Staaten darf das schon vorher passieren). Und dann ist in Wisconsin auch schon wieder Schluss: Denn in diesem Staat dürfen die Wahlkarten nur gezählt werden, wenn sie bis zum Wahltag im Wahllokal eingelangt sind - auch, wenn die Wahlkarten rechtzeitig in den Postkasten geworfen worden waren.

Vor allem Demokraten haben Angst, dass nicht alle Briefwahlkarten gezählt werden: Die Angst erklärt sich auch daraus, dass Briefwähler tendenziell auch demokratisch wählen. Der Bundesstaat Wisconsin wollte aktuell die Deadline für das Auszählen von rechtzeitig aufgegebene Briefwahlkarten verlängern.

Die Keule der Deadline

Aber dem hat der sich in der Hand der Konservativen befindliche Supreme Court am Montag einen Riegel vorgeschoben. In einer 5:3-Entscheidung (die neunte Richterin Amy Coney Barrett war noch nicht ernannt gewesen) urteilte das Gericht entlang der traditionellen Parteilinien: Die konservativen fünf Richter - allen voran Brett Kavanaugh - erklärten, die Deadline könne nicht nach hinten verschoben werden, das würde die Integrität des Wahl-Prozesses zu kurz vor der Wahl beeinträchtigen. Die liberalen drei Richter argumentierten erfolglos, dass die Deadline-Verschiebung inhaltlich das Wahlrecht schützen würde.

Sollte die Wahl knapp ausgehen, wird sie wohl vor dem Supreme Court landen, der einst entschieden hatte, dass George W. Bush und nicht Al Gore, in Florida die Wahl gewonnen hat. Die fehleranfälligen Wahlmaschinen von damals - die es nicht mehr gibt - sind die Wahlkarten von heute. Auch damals war dann die Deadline das Hauptargument: Man hätte, so das Gericht, für eine Neuauszählung per Hand nicht mehr genug Zeit. Denn am spätestens 12. Dezember, so will es der United States Code, muss ein Sieger feststehen.