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Stipendium bietet mehr Möglichkeiten als der herkömmliche Schulunterricht.
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Wien. "Ich behalte mir das Recht vor, zu denken, was ich will", sagt die 16-jährige Schülerin Nargis. Selbstbewusst ist sie. Zwar schätzt sie die Möglichkeiten, die sie durch das Start-Stipendium bekommt, möchte sich aber politisch von niemandem vereinnahmen lassen.
Das Start-Stipendium wurde 2006 von der deutschen Crespo-Foundation, einer Stiftung zur Förderung von Jugendlichen gegründet. Das Ziel: Jugendliche mit Migrationshintergrund aus sozial schwachen Familien zu fördern, damit sie später ein Hochschulstudium antreten können. Gute Schulnoten, soziales Engagement und ein geringes Einkommen der Eltern gelten als Voraussetzung für die Schüler, um als Stipendiat auch aufgenommen zu werden.
Bessere individuelle Betreuung als in der Schule
Als Schirmherr agiert Integrationsstaatssekretär Sebastian Kurz (ÖVP). Dem Beirat des Projekts sitzt der ehemalige Vizekanzler Erhard Busek (ÖVP) vor.
Seit einem halben Jahr ist Nargis, deren Eltern aus Bulgarien kommen, nun Start-Stipendiatin. Sie spricht Deutsch, Türkisch, Bulgarisch, Englisch und Französisch. Sehr schnell merkte sie die "schwarze Wolke", die über dem Programm schwebt. Die Schülerin findet es schade, dass das Stipendienprogramm parteipolitisch aufgeladen ist. Jugendliche dürfen nicht von einer Partei vereinnahmt werden, betont die 16-Jährige. Ihre Schulkollegen Bogdan und Lisa, die ebenfalls Start-Stipendiaten sind, wollen auch keine Posterboys und -girls einer Partei sein. Obwohl der politische Einfluss stark sei, würde Bogdan sich nicht in die Irre führen lassen. "Ich weiß, wie weit ich mitmache, und ab wann es nicht mehr für mich stimmt", sagt er.
Der 17-Jährige wurde in Serbien geboren und kam im Alter von sechs Jahren nach Österreich. Sein Vater lebt noch immer in seiner alten Heimat, seine Mutter hat ihn alleine erzogen. Die finanzielle und materielle Unterstützung, die Bogdan durch das Programm erfährt, könnte ihm seine Mutter nicht bieten.
Pro Monat erhält er wie alle Stipendiaten des Start-Programms 100 Euro Bildungsgeld für Lernmaterialien und Kulturausgaben. Zusätzlich erhält jeder einen Laptop mit Internetzugang, es werden Praktika vermittelt und zwei Bildungsprojekte pro Jahr finanziert. Weiters können Fördermittel für Sprachkurse und Studienfahrten im Wert von 700 Euro pro Jahr beantragt werden. Einmal im Jahr gibt es zudem ein Kunstprojekt, an dem alle Stipendiaten Österreichs teilnehmen.
Bogdan spricht mit Deutsch, Serbisch, Englisch und Spanisch vier Sprachen. Sein Notendurchschnitt in der Schule liegt bei 1,1. Er ist sich der großen Chance bewusst, die er durch das Stipendium erhält. "Ich kann Kontakte sammeln und in verschiedene Berufsbereiche hineinschnuppern", erzählt er. Diesen Einblick würde er ansonsten nicht bekommen. "Man lernt mehr, als man sich mit Geld kaufen könnte." Das Angebot sei breit gefächert, man komme mit Politikern und Unternehmern in Kontakt oder wird künstlerisch gefordert.
Mit diesem Angebot würde die Schule nicht mitkommen, sagt Nargis, und bei den Seminaren würde man auch mehr lernen. In eineinhalb Tagen hätte die Schülerin etwa bei einem Seminar über Bewerbungstraining mehr gelernt als in einem Semester an der Schule. Den Grund dafür sieht sie in den kleinen Gruppen, die unterrichtet werden, und in der Trainerin, die speziell für das Thema ausgebildet wäre und somit "präziser" arbeite.
Maria Marizzi, Französisch- und Deutschlehrerin am Schulschiff, dem Bertha-von-Suttner-Gymnasium im 21. Bezirk, weiß auch, dass sie als Lehrerin nicht dieselbe ideelle Unterstützung leisten kann. Natürlich wäre es besser, wenn jeder Schüler individuelle Betreuung genießen könnte, sagt sie.
Vom Mauerblümchenzur Klassensprecherin
Vom Start-Programm würden aber auch Schüler zehren, die nicht dabei sind. "Die Stipendiaten referieren über ihre Erfahrungen mit dem Programm in der Klasse", sagt Marizzi. Dadurch würden die anderen auch Möglichkeiten kennenlernen, an die diese eventuell gar nicht gedacht hätten. Das würde von einem Ferienjob bis zum Auslandssemester reichen.
Eines steht für Marizzi aber fest: Die Stipendiaten treten selbstbewusster auf und haben ein weiter fortgeschrittenes gesellschaftliches Bewusstsein als andere Schüler. Ein Beispiel dafür ist die 17-jährige Lisa. Die anfangs sehr stille Schülerin ist seit dem Stipendium selbstsicherer geworden und heute Klassensprecherin.
Lisa flüchtete als Achtjährige mit ihrer Familie aus Tschetschenien nach Österreich. "Ich habe vier Geschwister, da geht es sich nicht immer aus, dass meine Eltern für meine Wünsche aufkommen", sagt sie. Sie spricht Deutsch, Tschetschenisch, Russisch, Englisch und Französisch. Wie viele Jugendliche in ihrem Alter, so sagt die Schülerin, weiß sie noch nicht, welchen Beruf sie später einmal ergreifen will. Beim Start-Programm hat sie bereits einige erfolgreiche Unternehmer kennengelernt, die von einem Berufsfeld in ein anderes gewechselt sind. "Das hat mir die Angst genommen, einen falschen Beruf zu wählen, aus dem ich nicht mehr zurück kann." Einen Job nur aufgrund der guten Bezahlung auszuüben, sei für sie später einmal keine Option.
"Es geht im Leben um Interesse und Leidenschaft", ergänzt ihr Mitschüler Bogdan. Er wünscht sich, dass das Start-Stipendium noch mehr beworben wird, damit mehr Schüler dieselben Möglichkeiten wie er bekommen. Dann können auch andere ihren Interessen nachgehen, denn: "Wenn man nach dem geht, was einen interessiert, dann kann man nichts falsch machen."