Wenn am Sonntag in Venezuela Präsidentschaftswahlen anstehen, ist die Opposition nahezu ausgeschlossen.
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Rio de Janeiro. Rote Papierschnipsel fliegen in die Luft, links und rechts der kleinen Straße, die Nicolas Maduro in Caracas entlang schreitet, rufen die Menschen etwas gequält "Viva Nicolas, Viva Chavez". Es sind Anhänger der Sozialisten, die Maduro ordnungsgemäß feiern. Es ist fast immer die gleiche Zeremonie, die Maduro abliefert. Er lobt die venezolanische Revolution und verspricht: "Die besten Jahre liegen vor uns." Der harte Kern seiner Anhänger, die überwiegend im Staatsdienst oder staatlichen Unternehmen angestellt sind, glaubt den Aussagen des Präsidenten, dass die tiefe Krise, die das Land nun seit Jahren fest im Griff hat, nicht die Schuld der alle Institutionen dominierenden Sozialisten ist, sondern ein von den USA gesteuerter Wirtschaftskrieg. Die Staatsmedien übertragen live, Maduro feuert Breitseiten gegen US-Präsident Donald Trump und dessen jüngste Sanktionen. "Trump, lass Venezuela in Frieden", brüllen seine Anhänger. Maduro sieht zufrieden aus.
Herausforderer in Haft
Es ist Wahlkampf in Venezuela, ein Wahlkampf, der eigentlich keiner ist. Denn, diejenigen, die den Präsidenten herausfordern könnten, sitzen entweder in Haft, in Hausarrest oder sind im Exil. Leopoldo Lopez etwa, seit fünf Jahren hinter Gittern beziehungsweise in Hausarrest. Henrique Capriles, beim letzten Urnengang knapp unterlegener Kandidat der Opposition und inzwischen mit einem Berufsverbot belegt. Nicolas Maduro, der ehemalige Busfahrer und Gewerkschaftler, hat im Vorfeld der Wahlen am kommenden 20. Mai nichts dem Zufall überlassen. Wer ihm gefährlich werden könnte, ist aus dem Weg geräumt. Die Wahlen wurden vor ein paar Wochen so überstürzt ausgerufen, dass der Rest der Opposition nicht einmal mehr Zeit hatte, in Vorwahlen einen eigenen Kandidaten zu bestimmen. Weil ihrer Meinung nach zudem Garantien fehlen, dass es freie und faire Wahlen gibt, boykottiert das Oppositionsbündnis "Tisch der Einheit" (MUD) den Wahlgang. Und selbst das ist umstritten.
Damit ist der Weg frei für Maduro. Denn der Teil, der für ein anderes Venezuela ist, hat resigniert. "Die Menschen haben gewählt, doch ihre Stimme zählt nichts mehr", sagt Gabriel (25), ein Maschinenbau-Student aus Valencia, der inzwischen in die kolumbianische Hauptstadt Bogota geflohen ist. "Der endgültige Absturz kam nach den Parlamentswahlen 2015. Da haben die Leute gemerkt, dass sie keine Chance mehr haben, dieses Regime auf demokratische Weise abzulösen", sagt Gabriel, der aus Rücksicht auf seine in Valencia gebliebene Familie nur seinen Vornamen nennen will.
Die Parlamentswahlen im Dezember 2015 gelten als die letzten wirklich freien Wahlen in dem südamerikanischen Land. Damals siegte die Opposition deutlich, fast zwei Drittel der Stimmen entfielen auf den MUD. Er herrschte Aufbruchsstimmung im Land, zumindest für einige Wochen. Die Demokratie habe gesiegt, jubelten die Anhänger der Opposition, die zuvor zu Hunderttausenden auf die Straßen gegangen waren, um gegen die katastrophale Versorgungslage im Land, die völlig aus dem Ruder gelaufene Kriminalität und die Unterdrückung der Meinungsfreiheit zu demonstrieren. Es gab mehr als 100 Tote, die meisten Opfer waren auf Seiten der Demonstranten zu beklagen, aber auch Sicherheitskräfte kamen ums Leben.
Wählerwille war egal
Dann aber zeigte Maduro sein wahres Gesicht. Er ließ das frei gewählte Parlament entmachten, pfiff auf den an der Wahlurne ausgedrückten Wählerwillen und ersetzte die Nationalversammlung durch eine durch linientreue Sozialisten besetzte verfassungsgebende Versammlung, die alle Kompetenzen an sich riss. Prompt waren die Wahlverlierer wieder am Drücker, nahmen im Parlament jene Plätze ein, die ihnen das Volk eigentlich entzogen hatte und regierten, als habe es die Parlamentswahlen nie gegeben. Ein Putsch gegen jede demokratische Ethik.
Wenn am Sonntag Maduro zur Wahl antritt, gibt es dennoch Gegenkandidaten. Henri Falcon, dem ehemaligen Gouverneur der Provinz Lara, kommt laut Umfragen auf rund 25 Prozent der Stimmen. Seine Rolle ist umstritten. Oppositionspolitiker werfen dem ehemaligen Mitstreiter des Revolutionsführers Hugo Chavez vor, eine Marionette der Regierung zu sein. Seine Aufgabe: Er solle den Wahlen einen demokratischen Anstrich verleihen. Zumindest nach außen hin soll es so aussehen, als hätten die Venezolaner eine Wahl.
Wenn Falcon zur Pressekonferenz in Caracas bittet, dann spult er das ganze Programm ab, das von einem Gegenkandidaten erwartet wird. Er nennt es die "große Transformation Venezuelas". Falcon will die Hyperinflation von rund 1300 Prozent, die den Venezolanern jede Lebensgrundlage nimmt, mit Hilfe einer Dollarisierung bekämpfen.
Ausgerechnet mit dem US-Dollar, der Währung des ideologischen Todfeindes, der USA. "Es muss wieder möglich sein, an einen Geldautomaten zu gehen und auch tatsächlich Geld zu bekommen", sagt Falcon. Er verspricht Privatisierungen und ausländische Investitionen, die nach einem Regierungswechsel wieder ins Land strömen.
Venezolaner verlassen das Land
Falcon spricht damit Millionen Landsleuten aus der Seele. Eigentlich. Denn allein der Verdacht, er mache hinter dem Rücken gemeinsame Sache mit seinen ehemaligen Weggefährten und sei in Wahrheit gekauft, macht ihn nahezu chancenlos. Während Maduro laut Umfragen auf rund 55 Prozent der Wählerstimmen zählen kann, reicht es bei Falcon gerade mal zu 25 Prozent. Falcon geht für die Avanzada Progresista ins Rennen, eine Partei, die sich als solidarisch und progressiv bezeichnet, eigentlich klassische linke Begriffe. Chancenlos ist ein evangelikaler Priester Javier Pertucci, der laut Umfragen auf knapp 16 Prozent kommt. Dennoch spekulieren einige venezolanische Medien darüber, dass es eine Überraschung geben könnte, wenn sich im letzten Moment doch noch Allianzen bilden könnten, der MUD doch zur Teilnahme an den Wahlen und zur Unterstützung von Falcon aufrufen könnte.
Doch an all das wollen viele Venezolaner nicht mehr glauben. Sie stimmen längst mit den Füßen ab. Die Zahlen erinnern an die Flüchtlingskrise in Europa. Laut Roten Kreuz haben in den vergangenen zwei Jahren, also nach der Entmachtung des frei gewählten Parlaments rund eine Million Venezolaner das Land in Richtung Kolumbien verlassen. Ecuador und Peru melden eine Viertelmillion venezolanischer Flüchtlinge.
Die Region wird mit dem Problem allein gelassen, soziale Spannungen und Probleme sind vorprogrammiert. Ob und wie die Stimmen der Flüchtlinge gezählt werden können, die sich zum Teil ohne gültige Dokumente in den Nachbarländern aufhalten, ist ebenso unklar. Hier würde Maduro klar verlieren, doch die Opposition zweifelt an, dass die Stimmen der Exil-Venezolaner in das Wahlergebnis einfließen.
Und deshalb plant die Opposition schon für die Zeit nach Sonntag. Sie hat sich neu organisiert und nennt sich "Frente Amplio Venezuela Libre" (Breite Front freies Venezuela). Dahinter steckt ein Bündnis von mehr als 20 Parteien, Nichtregierungsorganisationen und Universitäten, die auf eine Änderung des Wahlrechts drängen. "Das Ziel ist, das Wahlsystem zu ändern, um Garantieren zu erreichen", sagt José Virtuoso, Rektor der Katholischen Universität Andrés Bello, deren Studenten zu den schärfsten Kritikern der Regierung zählen. Denn eines steht jetzt schon fest: Auch mit den Wahlen am Sonntag ist die Krise in Venezuela noch lange nicht zu Ende.