Die Koalition setzt mit begrenzter Eskalation auf eine riskante Strategie. | Nüchtern betrachtet kann nur FPÖ bei Neuwahlen ruhig schlafen. | Wien. Kann sein, dass wieder einmal nur die ominöse Classe politique, diese gerüchtesüchtige Mischung aus Politikern, Journalisten und sonstigen professionellen Kiebitzen, das Gras wachsen hört. Tatsache ist jedenfalls, dass sich die Gespräche bei Empfängen und Hintergrundgesprächen zusehends darum drehen, wie lange diese Koalition noch hält und ob nicht schon wieder - wie bereits im Frühjahr 2008 - Neuwahlen über das Land hereinbrechen.
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Dagegen spricht, dass jeder offizielle Gesprächspartner - von Bundeskanzler Werner Faymann und Vizekanzler Josef Pröll abwärts - diese Gerüchte für absurd erklärt. Gegen Neuwahlen spricht auch, dass nach heutigem Stand weder SPÖ noch ÖVP auch nur das geringste Interesse an vorzeitigen Neuwahlen haben können: Der Zorn der Wähler würde momentan wohl beide treffen, einzig die Freiheitlichen könnten einem Urnengang entspannt entgegenblicken, attestieren ihnen doch fast sämtliche Umfragen, prozentmäßig zu den beiden ehemaligen Großparteien aufschließen zu können.
Wem diese Konstellation bekannt vorkommt, täuscht sich nicht: Bereits 1999 glich die Großwetterlage der jetzigen Situation, damals konnte die FPÖ sogar die ÖVP überholen. Mit der "ewigen" Großkoalition war es alsbald vorbei. Schwarz-Blau verbannte die SPÖ auf die Oppositionsbank.
Gefahr von Neuwahlen
Für die Möglichkeit von Neuwahlen spricht die Art und Weise, wie SPÖ und ÖVP sehenden Auges auf eine Volksabstimmung über die Wehrpflicht zu treiben. Schon möglich, dass eine solche nicht zwingend zum Platzen der Koalition führt. Aber ein derartiger Showdown im Angesicht der Wähler kann nur einen Sieger kennen - und der Verlierer wird alles tun, um sich zu revanchieren. Die Strategie, dass die beiden Koalitionsparteien durch inszenierte und wohldosierte interne Streitereien auch gleich das Geschäft der demokratiepolitischen Opposition miterledigen, ist schon einmal, nämlich zwischen 2007 und 2008, grandios daneben gegangen.
Jedes politische Spielchen mit Feuer trägt die Gefahr eines Flächenbrands in sich. Daran sollten sich eigentlich auch Werner Faymann und Josef Pröll erinnern können, schließlich verdanken beide diesem Fiasko den Aufstieg in ihre Spitzenämter. Für einen Bruch vor der Zeit spricht zudem, wie die beiden Partner übereinander sprechen, wenn Vertraulichkeit zugesichert ist. Das betrifft nicht einmal in erster Linie die erste und zweite Reihe der beiden Koalitionsparteien, doch dahinter sitzt der Frust tief, an den jeweils anderen gekettet zu sein.
Ungeliebte große Koalition
Die große Koalition ist, das ist allerorten spürbar, längst nicht mehr die Lieblingskoalition - weder in der SPÖ, noch in der ÖVP. Fragt sich nur, welche stabilen Mehrheitsverhältnisse sich nach der nächsten Nationalratswahl ergeben.
Dabei bestünde - völlig emotionslos betrachtet - für gesteigerten Politikfrust in Österreich gar kein Anlass. Trotz aller struktureller Mängel in den klassischen Bereichen Verwaltung, Gesundheit, Pensionen, Integration und Bildung steht das Land im internationalen Vergleich ausgezeichnet da. Die damit zusammenhängenden Erfolge kann sich zwar keine Regierung ausschließlich auf die eigenen Fahnen heften, aber ganz ohne die Politik wäre eine solche Leistungsbilanz ehrlicherweise auch nicht möglich.
Das Problem ist, dass allem Anschein nach die Koalition über kein gemeinsames Projekt verfügt, das über die Machtteilhabe hinausgeht. In fast allen Fragen der politischen Agenda - von Universitäten und Schulen über Steuern, Pensionen bis hin zur Wehrpflicht - vertreten SPÖ und ÖVP, sei es aus Überzeugung oder aus Taktik, gegenteilige Ansichten. Fast scheint es, als ob die Legislaturperiode vor allem einem Zweck dient: Sich für die nächste Wahl die bestmögliche Ausgangslage zu sichern.
Dass sich die Regierung diese Woche über eine Reform von Asylrecht und Zuwanderung geeinigt hat, steht dazu nicht im Widerspruch. Schließlich haben beide Parteien ein Interesse daran, die Bäume der FPÖ nicht in den Himmel wachsen zu lassen.