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Die große Lust am blauen Blut

Von Betina Petschauer

Wissen
Romy Schneider als Kaiserin Sissi in "Sissi – Schicksalsjahre einer Kaiserin" von Ernst Marischka – süß-kitschiges Kriegsvergessen...
© Sunset Boulevard / Getty

Vor über 100 Jahren fand die Monarchie in Österreich ein Ende,
die Faszination dafür ist dennoch ungebrochen. Das "Wiener Journal" hat mit der Historikerin Katrin Unterreiner darüber gesprochen, warum wir davon nicht loskommen.


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Wiener Journal: Was bewegt das Publikum dazu, den gleichen historischen Stoff in der x-ten Ausführung zu verfolgen?

Katrin Unterreiner: Es geht den meisten ja weniger um die Lebensgeschichte einer historischen Person. Nachdem solche Filme und Serien im Moment so gefragt sind, haben sie alle den Anspruch, einen neuen Blick auf etwas zu bieten oder den Fokus auf neue Aspekte zu legen. Ob diese erfunden sind oder nicht, ist eine andere Frage. Das hat nicht unbedingt etwas mit historischer Aufarbeitung zu tun, aber ist der Grund dafür, warum es immer wieder etwas Neues in diesem Bereich gibt: Weil jeder für sich die Geschichte aus seiner Perspektive erzählen möchte und das Publikum das auch sehen will.

Woher kommt diese Faszination für historische Stoffe?

Das ist offensichtlich etwas, das die Menschen immer interessiert hat und was sich so schnell nicht ändern wird. Die Menschen haben offenbar eine große Sehnsucht nach einem gewissen Glamourfaktor. Ich glaube aber trotzdem, dass es kein Zufall ist, dass diese Rückblicke in eine vermeintlich bessere Zeit besonders beliebt sind, wenn die (persönliche) Realität hart ist. Das ist ein Ablenken von aktuellen Problemen, man möchte dann einfach in eine zuckerlrosa Welt abtauchen. Nicht umsonst sind die berühmten "Sissi"-Filme von Ernst Marischka aus den Nachkriegsjahren so erfolgreich geworden: Das war eine Phase, in der man die Kriegsgräuel vergessen wollte. Heute sind die Zeiten aus anderen Gründen schwierig, was den Erfolg der aktuellen Serien begünstigt. Es ist, glaube ich, kein Zufall, dass sie nicht vor zehn Jahren gedreht wurden, sondern heute. Mit den Marischka-Filmen hat man übrigens ganz nebenbei auch noch sehr viel für die Österreich-Werbung getan: Man zeigte, wie schön Wien oder das Salzkammergut sind und hat damit einen richtigen Tourismusboom ausgelöst.

Glauben Sie, wird man in Zukunft ebenso ausgiebig Verfilmungen über die heutigen Monarchinnen und Monarchen produzieren? Wird es in 100 Jahren noch Serien über William und Kate geben?

Das ist eine gute Frage, das traue ich mich nicht zu beantworten. Der Punkt ist ja, dass die heutigen Royals, egal in welchem Land, ja ein extrem öffentliches Leben führen und alles dokumentiert wird. Das ist dann nicht mehr so mysteriös. Das Einzige, was man nicht weiß, ist: Was spielt sich hinter den Kulissen ab? Man möchte die Menschen hinter der öffentlichen Maske, die Privatpersonen, kennenlernen.

Wie weit fortgeschritten ist die Forschung, wenn es um das Nachvollziehen der Leben von Monarchinnen und Monarchen geht?

Das kann man leider so pauschal nicht sagen, es ist je nach Person ganz unterschiedlich, was an Quellenmaterial noch vorhanden ist. Ein Großteil davon liegt im Haus-, Hof- und Staatsarchiv am Minoritenplatz, wo es Kilometer von Akten gibt, aus denen man allerhand herauslesen kann. Anhand von Rechnungen oder Archivalien zu Reisen oder repräsentativen Veranstaltungen kann man viel nachvollziehen. Vom Wiener Hof wurde alles detailliert aufgezeichnet, auch, was aus der Privatkasse bezahlt wurde und wie das Privatleben abgelaufen ist. Es ist nur eine immense Arbeit, das Material zu sichten. Einfacher ist es natürlich mit Briefen, da tauchen auch immer wieder neue Konvolute etwa aus dem Privatbesitz von Sammlern und Sammlerinnen oder Nachkommen auf. Briefe und Tagebücher sind die dankbarsten historischen Quellen, weil man da ganz unmittelbar an der Person dran ist und nachvollziehen kann, was sie gedacht und wie sie sich ausgedrückt hat. Bei Kaiserin Elisabeth haben wir aber beispielsweise das Problem, dass sich alle an ihre Vorgaben gehalten und die gesamte Korrespondenz nach ihrem Tod vernichtet haben. Das war eigentlich so üblich, damit nichts in falsche Hände geriet. Daher gibt es ganz wenige Briefe von ihr und das macht es dann umso schwerer, der Person nahezukommen.

Wie stehen Sie dazu, dass sich manche Verfilmungen sehr weit von der historischen Realität entfernen?

Solange diese einen reinen Unterhaltungswert haben und nicht den Anspruch erheben, authentisch zu sein, gut. Anders wäre es problematisch. Da kann man als Historikerin nicht mitgehen, wenn Elemente von vorne bis hinten nicht stimmig sind: wie Personen miteinander sprechen, interagieren, wie das Umfeld ausschaut, was sie anhaben – vom Inhalt einmal ganz abgesehen. Aber das ist den Filmemachern ja mitunter auch nicht wichtig, sie wollen nur eine spannende Geschichte erzählen. Technisch und von den Bildern her ist es ja schön gemacht, und das ist es, was viele Zuschauende sehen wollen. Es hat einen Unterhaltungswert mit opulenten Interieurs und schönen Kleidern, aber als Historikerin kann man sich das nicht anschauen.

Warum faszinieren manche historische Personen – wie Sisi, Diana oder Marie Antoinette – mehr als andere?

Das Gemälde "Marie-Antoinette mit einer Rose" von Vigée-Le Brun (1783) zeigt den Prunk der Herrscherin – der ihr letztendlich aber zum Verhängnis werden sollte.
© Universal History Archive/Universal Images Group / Getty

Es geht darum, wie geheimnisvoll die Person ist. Wenn man alles weiß, fällt die Spannung weg. Gerade, dass vieles noch im Dunkeln ist, man es nicht belegen kann, macht jemanden interessant. Sisi ließ sich ab einem gewissen Alter nicht mehr fotografieren und führte ein Leben abseits der Öffentlichkeit, da entsteht automatisch ein gewisser Mythos. Menschen, die schon zu Lebzeiten polarisierten und geheimnisvoll waren, sind natürlich dankbare und spannende Persönlichkeiten mit Ecken und Kanten. Und ich glaube, dass Sisi sich so durchgesetzt hat, liegt mehr an Romy Schneider, denn Kaiserin Elisabeth war ja eigentlich eine der historisch uninteressantesten Habsburgerinnen.

Gab es eigentlich früher auch schon so eine Art "Whistleblower", also Bedienstete, die Hofinterna ausgeplaudert haben?

Zur Zeit der Monarchie hat das niemand gemacht, da gab es eine unglaubliche Loyalität und wahrscheinlich auch Verschwiegenheitsklauseln, wie sie heute üblich sind. Aber von Kammerdienern bis zu Hofdamen gab es später immer wieder Menschen, die ihre Memoiren aufgeschrieben oder Interviews gegeben haben. Das lag wahrscheinlich auch an Existenzängsten, weil in den 1920ern die Hyperinflation so hoch war und die Pensionen der Betroffenen auffraß. Da ließ sich gut damit verdienen, weil das Interesse am Hofgeschehen auch damals schon vorhanden war. Aber die Bediensteten waren immer noch loyal, also wurde zwar der Alltag bei Hof beschrieben, aber man ging nie ins Private und man darf sich da auch keine kritische Auseinandersetzung erwarten. Die Negativaspekte wurden eher ausgespart und deswegen muss man mit diesen Quellen vorsichtig umgehen und Informationen gefiltert beurteilen.

Kommt die Sicht der Bediensteten in der historischen Aufarbeitung zu kurz?

Die vorhandenen Unterlagen sind immer in die historische Aufarbeitung eingeflossen, es gibt aber nicht so viele. Man darf nicht vergessen, dass etwa ein Leibkammerdiener weder die Zeit noch die Muße noch vielleicht die Fähigkeiten hatte, Memoiren zu verfassen. Über den Hintergrund der Bediensteten und deren harten Alltag fehlen einfach die Primärquellen. Aber das ist genau das, was ich interessant finde, deswegen bin ich immer sehr glücklich, wenn ich doch einmal so eine Quelle finde.

Warum wurde manchmal ein "Framing" vorgenommen, also ein bestimmtes Bild von Adeligen gezeichnet? Beispielsweise wurde Marie Antoinette als hochmütige und dumme Monarchin dargestellt.

Das hängt davon ab, wer sich mit der Geschichte dieser Personen auseinandergesetzt hat. Schon zu Monarchiezeiten gab es gewisse Historiker, die sich damit befasst und seriöse Werke publiziert haben. Aber es waren auch andere Publizisten dabei, die vielleicht nur gewisse Quellen kannten und deren Veröffentlichungen daher subjektiv waren. Und das hatte großen Einfluss auf die öffentliche Wahrnehmung, das setzte sich fest und besteht als Klischee fort. Marie Antoinette wurde natürlich verunglimpft, da es die Zeit der Französischen Revolution war – man musste ihre Enthauptung rechtfertigen.

Wie schätzen Sie es ein, dass es immer noch Monarchisten in Österreich gibt wie die Schwarz-Gelbe Allianz?

In meiner Wahrnehmung sind diese Menschen nicht sehr zahlreich. Die meisten unterscheiden zwischen historischem Interesse und monarchistischen Bestrebungen. Ich wüsste ehrlich gesagt auch nicht, was zu Zeiten der Monarchie besser gewesen sein sollte. Die lebenslange Verantwortung eines Monarchen, der sich nicht nach ein paar Jahren in die Privatwirtschaft zurückzieht und dadurch vielleicht weitblickender agiert, mag auf den ersten Blick als positiver Aspekt erscheinen. Man vergisst nur leider sehr schnell, dass mit diesem System auch Menschen mit einer enormen Machtfülle ausgestattet werden, die dem mitunter in keinster Weise gewachsen sind. Diesen Menschen wäre man auf viele Jahrzehnte praktisch ausgeliefert. Daher stellen echte Monarchisten auch eine kleine und bedeutungslose Minorität dar.

Katrin Unterreiner studierte Geschichte sowie Kunstgeschichte und war langjährige wissenschaftliche Leiterin der Schloss Schönbrunn GesmbH. sowie der Kaiserappartements der Wiener Hofburg. Sie ist auch als Autorin zahlreicher Bücher über die Habsburger und Kulturgeschichte der k.u.k. Monarchie bekannt.