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Die große Syrien-Kehrtwende?

Von WZ-Korrespondent Frank Nordhausen

Politik

Seit 2011 sind die Türkei und Syrien Erzfeinde. Der türkische Premier deutet einen Kurswechsel an.


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Istanbul. Seit fünf Jahren hat die Türkei keine Chance ausgelassen, das Regime von Bashar al-Assad in Syrien anzugreifen und zu destabilisieren. Doch am Mittwoch schien sich in Ankara eine politische Sensation anzubahnen, als Ministerpräsident Binali Yildirim live im Fernsehen erklärte, dass die Türkei jetzt "gute Beziehungen mit Syrien und dem Irak anstrebe". Beide Länder bräuchten Stabilität, um den Terrorismus erfolgreich zu bekämpfen. Und: "Ich bin sicher, dass wir zu normalen Beziehungen zurückkehren." Deutlicher wurde Yildirim allerdings nicht. In Ankara hat deshalb das große Rätselraten begonnen, wie die ungewöhnliche Erklärung zu verstehen sei.

Yildirims Charmeoffensive

Die Initiative passt zu Meldungen, dass sich Vertreter beider Länder zu geheimen Gesprächen in Algerien getroffen hätten. Sie passt auch zur Charmeoffensive, mit der Yildirim seit seinem Amtsantritt im Mai versucht, die beschädigten Beziehungen zu Russland, Israel und Ägypten zu kitten. Mehrfach sagte er, dass die Türkei "ihre Freunde vermehren und ihre Feinde verringern" müsse. In atemberaubendem Tempo justiert er die türkische Außenpolitik neu. Moskau gegenüber rang sich die Türkei vor zwei Wochen zu der vom russischen Präsidenten Wladimir Putin geforderten Entschuldigung für den Abschuss eines russischen Kampfjets 2015 durch. Im Streit mit Israel um die blutige Kaperung der Gaza-Hilfsflotte einigte man sich auf einen Kompromiss. Allerdings ist trotz vollmundiger Ankündigungen Yildirims eine Versöhnung mit Ägypten nicht in Sicht, weil sich Präsident Recep Tayyip Erdogan weigert, die Putschregierung seines Amtkollegen Abdel Fattah al-Sisi anzuerkennen.

Es kann keinen Zweifel daran geben, dass der Politikwechsel auf Erdogan, den starken Mann der Türkei, zurückgeht. Dabei wird der zurückgetretene Ministerpräsident Ahmet Davutoglu von Erdogan-treuen Medien zum Sündenbock gemacht, da er für die verfehlte Außenpolitik der vergangenen Jahre verantwortlich sei.

Nun also Syrien. Für Erdogan gilt der syrische Diktator Assad, mit dem er einst persönlich befreundet war, seit Beginn des Bürgerkriegs 2011 als größtes Hindernis für eine Stabilisierung Syriens und dessen Sturz als Bedingung für Friedensverhandlungen. Erdogans massive Unterstützung der syrischen Rebellen und ihres Kampfes gegen das Assad-Regime führte zur Entfremdung der Türkei von Assads Verbündetem Russland und zum Dauerstreit mit der US-geführten Koalition gegen den sogenannten Islamischen Staat (IS).

Seit dem direkten Eingreifen Russlands in den Bürgerkrieg und dem Vormarsch der syrischen Kurden mit US-amerikanischer Unterstützung, gerieten die von der Türkei, Saudi-Arabien und Katar unterstützen arabisch-sunnitischen Rebellen in die Defensive. Vor wenigen Tagen gelang es Assads Armee, die Rebellen in der umkämpften Metropole Aleppo von ihrer letzten Landverbindung nach außen abzuschneiden.

Durch die Niederlagen ihrer Schützlinge ist die Türkei in ein strategisches Dilemma geraten. Die drei wichtigsten Akteure in Syrien scheiden aus unterschiedlichen Gründen als Partner aus: Mit Assad verbindet Erdogan eine herzliche Feindschaft, der IS hat der Türkei offen den Krieg erklärt, seit sie sich im vergangenen Jahr der US-geführten Koalition anschloss, und die syrischen Kurden gelten in Ankara als Hauptfeind, da sie mit der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK verbunden sind und eine autonome Kurdenregion ausgerufen haben. Im Juni zitierte die Agentur Reuters einen Politiker der türkischen Regierungspartei AKP mit den Worten: "Natürlich ist Assad ein Mörder. Aber er unterstützt die Autonomie der Kurden nicht. Wir mögen uns nicht, aber in diesem Punkt verfolgen wir die gleiche Politik."

Möglicher Druck Russlands

Doch politische Beobachter in der Türkei bleiben skeptisch. Der für die Johns-Hopkins-Universität tätige Türkei-Experte Gareth Jenkins hält Yildirims Ankündigung bis zum Beweis des Gegenteils für "leere Worte". Es sei möglich, dass Russland Druck ausübe, um die Türkei zu einer Strategiewende in Syrien zu bewegen, aber eine Normalisierung der Beziehungen sei undenkbar, solange Assad in Damaskus regiere. "Erdogans Glaubwürdigkeit hängt am Sturz Assads, und Assad wird Erdogan niemals vergeben, dass er sich gegen ihn gestellt hat."

Vielleicht hatte Yildirim nicht aufgepasst, was Erdogans Sprecher wenige Stunden zuvor sagte, als er das Europaparlament für eine Ausstellung über die syrische Kurdenpartei PYD kritisierte: "Wenn diejenigen, die diese Ausstellung organisieren, ihre Behauptungen darauf stützen, dass die PYD gegen die Terrororganisation IS kämpft, empfehlen wir ihnen auch Ausstellungen über die Nusra-Front, die Hisbollah und das blutrünstige Assad-Regime zu eröffnen."