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Die große Versuchung

Von Walter Hämmerle

Leitartikel
Walter Hämmerle.
© Luiza Puiu

Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 6 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Zunächst die gute Nachricht: Am 8. August 1703 erschien die allererste Ausgabe der "Wiener Zeitung", die damals noch "Wiennerisches Diarium" hieß. Wir feiern also unseren 315. Geburtstag, und damit ist Ihre Zeitung die älteste noch erscheinende Tageszeitung der Welt. 315 Jahre sind in einer Zeit, in der zehn Jahre schon eine Ära und technische Innovationen ebenso schnell überholt sind, ein sehr langer Zeitraum. 1703 herrscht Leopold I. über das Habsburger-Reich, Zar Peter I. macht sich daran, St.Petersburg zu gründen, und die späteren USA sind noch für Jahrzehnte britische Kolonie.

Wirklich unvorstellbar werden 315 Jahre aber, wenn wir versuchen, diese Distanz in die Zukunft zu denken. Wie unsere Welt im Jahre 2333 aussehen wird, übersteigt die Vorstellungskraft. Zumal wir schon mit der Bewältigung der Gegenwart genug zu tun haben. Denn das ist die schlechte Nachricht: Als Gesellschaft wird uns angst und bang, wenn wir an die Zukunft denken, die unmittelbare wie die noch fernere.

Das hat natürlich mit unserem Blick auf die Gegenwart zu tun, deren Gewissheiten sich akut gefährdet anfühlen. Wie sehr das tatsächlich der Realität entspricht, das ist eine der größeren Streitfragen unserer Zeit. Zweifel und Misstrauen gehören zur DNA der Moderne. Auf dass nie wieder falsche Wahrheiten unser Leben bestimmen. Aber ohne Vertrauen ist auch kein Staat zu machen.

Für die Zweifel, das Misstrauen, war bisher eher nicht die Politik zuständig, für die richtige Dosis an gesunder Skepsis sorgten Wissenschaft, Geistesarbeiter und, ja auch, die Medien. Aufgabe der Politik war es, um das Vertrauen der Bürger zu werben.

Das war einmal. Heute steht die Politik ganz vorne, wenn es darum geht, Misstrauen und Zweifel zu säen. Medien können dann schnell zu "Feinden des Volkes" werden, wie es der 45. Präsident der USA hinausposaunt.

Doch Donald Trump ist nicht das Problem. Nicht einmal seine Nachahmer im Kleinen. Dass die Medien die Schuld tragen, wenn irgendwo etwas schiefläuft, diese Strategie ist so alt, wie es Mächtige und Medien gibt. Also sehr, sehr alt. Wir Medien können daran nichts ändern, das ist Sache der Bürger. Wenn Journalisten aufhören, zu zweifeln und den Mächtigen zu misstrauen, sind sie in der falschen Branche, dann werden sie zu PR-Arbeitern. Diese Versuchung war immer schon real. Aus ökonomischen und anderen Gründen.

Auch deshalb leidet der Journalismus unter Vertrauensverlust der Bürger, nicht alle gleich, aber alle eben doch. Vertrauen aber ist für den Journalismus das wertvollste Gut überhaupt. Dieses gilt es zu bewahren oder zurückzuerobern. Tagtäglich durch den bestmöglichen Journalismus. Darum bemühen wir uns als älteste Tageszeitung der Welt.