Unzählige Kabel verlaufen am Meeresgrund. Der Westen ist hier verwundbar, während Russland und China aufrüsten.
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Die Explosionen an der Gaspipeline Nord Stream 1 haben öffentliche Aufmerksamkeit auf ein entscheidendes Thema gelenkt, das bisher fast ausschließlich von sicherheitspolitischen Kreisen beobachtet wurde: die globale Unterwasser-Infrastruktur. Neben Pipelines sind es vor allem die Datenverbindungen, die das Rückgrat globalisierter Wirtschaftsbeziehungen bilden.
Nicht nur Russland hat diese Netzwerke als Schwachstelle des Westens erkannt und seine Fähigkeiten zur Ortung, Spionage und Zerstörung von Infrastrukturen am Meeresgrund in der letzten Dekade enorm ausgebaut. Auch China hat sein Arsenal erweitert.
Der Westen reagiert auf diese Herausforderung: Frankreich hat im Februar dieses Jahres eine neue Strategie namens "Seabed-Warfare" veröffentlicht. Und das Europäische Parlament nennt in einer Analyse vom Juni Russland und China eine Bedrohung für die europäische Konnektivität. Die Achillesferse des Westens sind seine Unterwasser-Datenverbindungen.
Ohne Unterwasserkabel gibt es keinen Datenverkehr
95 Prozent des internationalen Datenverkehrs laufen über die weltweit ungefähr 1,3 Millionen Kilometer an Unterwasserkabel. Das sind Glasfaserpaare, die auf bis zu 20 Zentimeter starke Stränge gebündelt werden, mit Isolier- und Schutzschichten versehen und am Meeresgrund verlegt werden. Oder, in Küstennähe, auch in den Meeresboden eingebettet werden.
Die Kapazität derartiger Kabel liegt aktuell bei Übertragungsraten von 250 Terabyte pro Sekunde. Sie werden für das jeweilige Projekt in einer Herstellungszeit von 24 bis 36 Monaten eigens entwickelt.
Es handelt sich dabei keineswegs um eine überholte Technologie, die Schritt für Schritt durch Satellitenübertragung ersetzt wird, wie das oft angenommen wird. Vielmehr ist es ein hochinnovatives Feld der Materialtechnologie und der optoelektronischen Übertragungstechnik. Auch die Lebensdauer der Kabel liegt mit durchschnittlich 25 Jahren höher als bei Satelliten, die nur etwa zehn Jahre voll funktionstüchtig sind.
Den Markt zur Verlegung und Wartung der Unterwasserkabel haben lange die drei Unternehmen SubCom aus den USA, NEC aus Japan und das französische Unternehmen Alcatel Submarine Networks mit einem Weltmarktanteil von 80 Prozent beherrscht, die nun aber mit immer mehr Konkurrenz konfrontiert sind. Dazu existieren weltweit nur ungefähr 40 Schiffe, die derartige Verlegungs- und Wartungsarbeiten durchführen können. Das ist wenig, einer UN-Statistik zufolge ereignen sich jährlich 150 bis 200 Unfälle mit Unterwasserkabeln.
Auch die Eigentümerstrukturen der knapp 480 Datenkabel, ihrer Anlandestationen und Datencenter ist zwischen privaten und staatlichen Akteuren aufgeteilt. Der Markt hat sich aber verschoben: Neben klassischen Infrastrukturanbietern haben Unternehmen wie Meta, Microsoft und Amazon ihre Investitionen zwischen 2015 und 2019 deutlich erhöht. Google investiert bereits seit 2010.
Der chinesische Staat fördert seine Konzerne
Aber auch China ist im Bereich Unterwasser-Datenkabel zuletzt zunehmend in die Offensive gegangen. Der Startschuss dafür fiel im Kontext der "Digitalen Seidenstraße" und der industriepolitischen Strategie "Made in China 2025", in der das Ziel von 60 Prozent Weltmarktanteil vorgegeben wird.
Neben diesen staatlichen Förderprogrammen haben die drei Telekommunikationsgiganten China Telecom, China Unicom und China Mobile enorme Investitionen in diesem Markt getätigt. Zusammen halten sie gegenwärtig sämtliche Anteile an 31 Unterwasser-Datenkabeln. Seit August dieses Jahres besitzt auch das Unternehmen HMN Technologies mit PEACE (Pakistan & East Africa Connecting Europe) ein Datenkabel. Es handelt sich dabei um ein Projekt, das 2018 begonnen wurde und mit einer Gesamtlänge von 12.000 Kilometer Pakistan mit Dschibuti, Kenia, Zypern und Malta verbindet und im südfranzösischen Marseille anlandet.
Das Projekt ist umstritten, denn HMN Technologies ging aus dem Joint Venture zwischen Huawei und Global Marine in Großbritannien hervor, das aufgrund der Sanktionen gegen Huawei 2020 von der Hengtong-Gruppe übernommen wurde. Die Gruppe gehört zu den weltweit führenden Herstellern von hochentwickelten, unterwassertauglichen Glasfaserkabeln und kooperiert mit der chinesischen Armee. Das Unternehmen steht wegen nicht-marktkonformer Geschäftspolitik unter Beobachtung der Europäischen Kommission. Seit 2020 hat HMN bereits an fast 100 internationalen Projekten zur Verlegung, Wartung oder Reparatur von Datenkabel teilgenommen und damit den Anteil am Weltmarkt rasant von 5 auf 20 Prozent gesteigert.
Unterwasser-Kriegsführung und der Blick nach Taiwan
Aber nicht nur Unternehmen streben nach Anteilen am Weltmarkt. Auch die chinesische Marine hat ihre Kapazitäten ausgebaut. Sie verfügt mit der "East Cable 885" und der "South Cable 233" über zwei hochseetaugliche Schiffe zur Verlegung und Wartung von Unterwasser-Kabeln. Darüber hinaus hat das Land auch Mini-U-Boote entwickelt, die dazu geeignet sind, Datenkabel am Meeresboden anzugreifen.
Auch vier Forschungsschiffe der Xiang-Yang-Hong-Klasse, die sowohl zivil als auch militärisch, also im dual-use, verwendet werden können, stehen zur Verfügung. Ihr Kernauftrag ist die hydrografische Forschung zur Vorbereitung von U-Boot-Operationen, zum Enttarnen feindlicher Sensornetze am Meeresboden sowie Spionage und gegebenenfalls Angriffe auf Unterwasser-Infrastrukturen. Sie sind vergleichbar mit der "Yantar" und der "Boris Petrov" der russischen Marine, die ebenfalls zivil und militärisch genutzt werden können. Im Unterschied zu tatsächlichen Forschungsschiffen, schalten diese ihre Transponder ab, um nicht geortet werden können. Die relativ leichte Bestreitbarkeit eines Angriffs auf UW-Kabel macht selbst eine dahingehende Drohgebärde für potenzielle Aggressoren zu einem veritablen Instrument der verdeckten Kriegsführung.
Taiwan nimmt auch in diesem Zusammenhang eine Schlüsselrolle ein. Die Insel ist Standort von zwei besonders wichtigen Datencentern und ist mit 15 Unterwasser-Kabel-Anbindungen Dreh- und Angelpunkt für die globale Kommunikation. Kenny Huang, CEO des Taiwan Network Information Center, weist besonders auf Vorbereitungen hin, die für den Fall eines chinesischen Überfalls hin getroffen werden. Eine chinesische Attacke würde nämlich höchstwahrscheinlich mit einem Angriff auf die Datenverbindungen starten.