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Die große Weltunordnung

Von Thomas Seifert aus St. Gallen

Politik

Symposium St. Gallen im Zeichen geopolitischer Veränderungen.


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St. Gallen. Der frühere US-General Stanley Allen McChrystal weiß ein paar Dinge über den Krieg: Er war ein Jahr lang (Sommer 2009-2010) Kommandant der Isaf- und US-Truppen in Afghanistan. Er war jahrelang Kommandeur von Spezialeinheiten und führte einen Großteil der Operationen von Spezialtruppen im Irak und in Afghanistan an.

Der Mann, der auf der Bühne der Universität St. Gallen steht, redet nicht lange um den heißen Brei herum, formuliert pointiert und direkt. 2010 musste er nach Kritik an der US-Regierung, die vom Magazin "Rolling Stone" öffentlich gemacht wurde, von seinem Posten weichen. McChrystal kritisiert, dass man nicht einmal den Vortragssaal mit US-Soldaten, die Arabisch sprechen, füllen könnte. Und er spricht offen aus, was viele Kritiker der US-Strategie in Afghanistan denken: "Es gehört viel dazu, einen Aufstand wie in Afghanistan zu bekämpfen. Wenn beim Versuch, Aufständische auszuschalten, das Haus einer Familie zerstört wird, dann ist es für diese Familie sehr, sehr schwer, sich befreit zu fühlen, auch wenn die Aufständischen vertrieben werden konnten."

1,2 Millionen Tote

Afghanistan sei ein besonders schwerer Fall: Seit dem Einmarsch der Sowjets im Jahr 1979 starben 1,2 Millionen Afghanen, fünf Millionen sind geflüchtet und das bei einer Bevölkerung von 25 Millionen Menschen. Die ganze Welt habe nicht verstanden, wie diese von Jahren des Krieges zutiefst traumatisierte Gesellschaft funktioniere, sagt McChrystal. Und es seien so viele Aufgaben zu bewältigen gewesen: Keine staatlichen Strukturen, kein funktionierendes Gesundheits-, Sozial- und Schulwesen. Heute gingen immerhin neun Millionen Kinder in die Schule. "Wenn man alles gleichzeitig zu reparieren versucht, dann ist das, wie wenn man ein Flugzeug während des Fluges zusammenbaut."

McChrystal hält auch mit seiner Skepsis gegenüber Drohnen-Einsätzen nicht hinter dem Berg: Nach Al-Kaida-Anschlägen gegen US-Ziele in Afrika im Jahr 1998 wurden Terror-Camps in Afghanistan und dem Sudan mit Tomahawk-Raketen beschossen. "Wenn man am nächsten Morgen die Amerikaner gefragt hätte, ob wir nun im Krieg sind, hätten sie gesagt: ,Im Krieg? Warum? Wir haben doch nur ein paar Raketen abgefeuert.‘ Die Leute, die in der Nähe dieser Terror-Camps gelebt haben, sehen die Sache vielleicht aber anders." Wenn man mit Drohnen relativ gefahrlos Krieg gegen andere führen kann, dann denkt die politische Führung eines Landes möglicherweise zu wenig nach, bevor die Anwendung von Gewalt befohlen wird. Und Chrystal fügt hinzu: "Solche Einsätze erwecken auch den Eindruck von Arroganz."

Am Nachmittag sitzt dann Fu Ying, Vorsitzende des Außenpolitischen Ausschusses des Chinesischen Volkskongresses mit Peter Maurer, Präsident des Internationalen Komitees des Roten Kreuzes auf dem Podium beim St. Gallen Symposium, dessen Ziel es ist, einen Beitrag zu einer liberalen Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung zu leisten. Frau Fu spricht über die Verschiebung der geopolitischen tektonischen Platten, über den Aufstieg Asiens und die aus ihrer Sicht schizophrene Angst vor China und dem Drängen, dass China mehr globale Verantwortung übernehmen müsse. "Die internationalen Institutionen und Strukturen spiegeln die Welt unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg wider. Wir müssen diese Strukturen (damit meint sie vor allem den UN-Sicherheitsrat und die Bretton-Woods-Institutionen IWF und Weltbank, Anm.) modernisieren."

"Welt ist Kuddelmuddel"

In der Vergangenheit hätten sich diese Strukturen stets nur nach einem Krieg neuen Verhältnissen angepasst, sagt Fu. Das dürfe nicht geschehen, "daher müssen wir Geduld haben." China sei ein friedliebendes Land und habe kein Interesse an Konflikten.

Peter Maurer, Präsident des internationalen Roten Kreuzes, präsentiert dann seine Perspektive der geopolitischen Weltlage: Früher habe es eine größere Anzahl von Konflikten zwischen Staaten gegeben, dann hätten Konflikte in Staaten dominiert, jetzt dominieren bewaffnete Gruppen, die Macht über einen kleinen Landstrich ausüben. Zwischen Damaskus und Aleppo in Syrien gebe es 25-35 Straßensperren, sagt Maurer. Wer die jeweils kontrolliert, sei nicht immer klar: "Die Welt ist ein einziger Kuddelmuddel."