Die Dreierkoalition als neue Variante der Regierungsbildung scheint vor der Tür zu stehen - auch die "Italienisierung" der heimischen Innenpolitik ist nicht mehr nur ein Slogan.
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Österreichs Innenpolitik war noch selten so spannend wie jetzt. Da sind sich alle Kommentatoren und Polit-Player einig. Viele sprechen bereits von der "Italienisierung" Österreichs - und meinen damit nichts Gutes, sondern die Zersplitterung der Kräfte, damit häufig auch die Unregierbarkeit, hoffentlich nicht die Korrumpierbarkeit.
Die Vorhersagen der Demoskopen sind nicht mehr wirklich überraschend: ÖVP 26 Prozent, SPÖ 23 Prozent, FPÖ 17 Prozent, Grüne 15 Prozent, Liste Fritz und BZÖ je 7 Prozent, LIF 5 Prozent (laut Gallup am 31. Juli) - sieben potenzielle Parteien im Nationalrat wären ein absolutes Novum in der Geschichte der Zweiten Republik. Die bisher Kleinen scheinen alle Chancen zu haben. Doch die Realität wird wohl letztlich anders aussehen. Wahlkampfstärken und -fehler und noch nicht erkennbare Wahlprogramme werden das Wählerverhalten beeinflussen.
Weitere Faktoren: FPÖ und BZÖ im selben Revier, auf der anderen Seite des Spektrums Grüne, LIF und teilweise Fritz Dinkhauser; sie werden einander (aber auch den bisherigen Großen) gewaltig Stimmen wegnehmen. ÖVP und SPÖ haben in den letzten zwei Jahren eine Streitkultur gelebt, die ihnen nicht gut bekommen dürfte. Dazu kommt die Verärgerung zahlreicher Bevölkerungsgruppen: Ärzte, Mitarbeiter der Sozialversicherungen, Studenten, Behinderte, Pensionisten, Mieter, Pendler, Autofahrer . . .
Die große Koalition hat sich überlebt, kaum jemand gibt ihr noch Chancen. Wilhelm Molterer gilt als verlässlicher Zahlenmensch, nicht als Stimmungskanone; Werner Faymann zwar als smart und fesch, aber "Krone"-lastig, was sich noch als Bumerang erweisen könnte. Und dann kommen noch seine Aktivitäten als Wohnbaustadtrat, die den Blauen zu heftigen Angriffen verhelfen könnten. Die Kandidaten von Grün, LIF und Fritz sind vor allem eines: "alt", was nicht als Diskriminierung des Alters verstanden werden sollte, aber den speziellen Appeal, etwa eines Barack Obama, haben sie nicht einmal ansatzweise (und hatten sie wohl nie). Bleibt als einziger Junger H.C. Strache, der mit gutem Aussehen, prägnanter Rhetorik und Slogans im Anti-Ausländerthema wohl reiche Ernte einfahren kann.
Mit den Koalitionsmöglichkeiten schauts für die Schwarzen gut aus. Sie haben niemanden prinzipiell abgelehnt, könnten eigentlich mit allen und haben die besten Karten im Regierungspoker. Die Roten haben FPÖ und BZÖ abgelehnt, es bleiben als Partner nur ÖVP, LIF, Grüne und Fritz. Wie soll sich das ausgehen? Die FPÖ könnte, sollte sie über 20 Prozent kommen (was möglich erscheint), eine ganz eminente Rolle nach der Wahl spielen: entweder als Regierungspartner oder als Königsmacher.
Über die handelnden Personen herrscht Unsicherheit: Nach den erfolgten Abgängen der Herrschaften Gusenbauer, Buchinger, Kranzl, Broukal, Niederwieser und Schaunig, Kukacka, Zanon und Hosp, Westenthaler (als Frontmann) und Klement wird sich die Liste der Polit-Aussteiger vor und auch nach der Wahl noch gehörig verlängern: Die Herren Molterer (wenn nicht klare Nummer eins), Schüssel, Faymann (bei nicht entsprechendem Ergebnis) und Van der Bellen scheinen hier ebenso Kandidaten zu sein wie Frau Plassnik. Prinzipiell tut Erneuerung der Politik gut, wenn fähige Kandidaten einsteigen. Groß wirken der Andrang und die Auswahl allerdings nicht . . .
Was also können wir aus heutiger Sicht erwarten? Am ehesten eine Regierung ÖVP/Grüne/LIF (oder BZÖ, Fritz), wenn nicht gar ÖVP/FPÖ. Für die SPÖ schauen die Koalitionsmöglichkeiten derzeit eher bescheiden aus.
Manche werden noch über die erfolgte Verlängerung der Legislaturperiode auf fünf Jahre weinen. Diesmal gilt, mehr als je zuvor: "Wahltag ist Zahltag!"
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