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Die Großmachtpolitik der EU

Von Muamer Becirovic

Gastkommentare

Die Europäische Union nimmt auf der Zuschauertribüne der Weltpolitik Platz. Warum? Und wie kommt die EU - oder zumindest ein Teil davon - wieder zu einer schlagfertigen Verteidigungs-, Sicherheits- und Außenpolitik?


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Europa ist ein Kontinent, auf dem es keiner Großmacht gelungen ist, eine andauernde Vorherrschaft zu erlangen. Zwar kämpften im Wesentlichen Frankreich und die Habsburger um die Hegemonie auf dem Festland, aber keiner hatte auf Dauer Erfolg. Etwas später, Anfang des 19. Jahrhunderts, stellte Napoleon Bonaparte die Vorherrschaftsfrage und scheiterte am Bündnis des restlichen Europa. Nach Napoleons Niedergang etablierte Fürst Klemens Wenzel Lothar von Metternich, aufgrund der zentralen geografischen Lage und der instabilen innenpolitischen Verhältnisse im Habsburger Imperium, ein Gleichgewicht der Großmächte. Es veränderte sich allerdings alles, als die deutsche Einigung 1871 mit Otto von Bismarck kam, die zwangsweise in den Ersten Weltkrieg münden musste. Denn von 1624 bis 1871 war es immer Frankreichs außenpolitische Strategie gewesen, die Teilung Mitteleuropas aufrechtzuerhalten, wohl wissend, dass ein vereinigter mitteleuropäischer Raum mächtiger als Frankreich wäre. Der Ausgang des Ersten und Zweiten Weltkriegs ist uns bekannt.

Die europäische Integration - ein Projekt von Realisten

Nach dem Zweiten Weltkrieg setzte eine weltpolitisch einzigartige Entwicklung ein. Zum ersten Mal wird nicht nur das Gleichgewicht der Mächte innerhalb Westeuropas manifest, sondern auch der Versuch unternommen, die Interessen als eine Art Staatengemeinschaft gemeinsam zu verfolgen. Die deutsch-französische Konkurrenz wird nun diplomatisch und kooperativ ausgetragen. Denn Deutschland blieb als Kriegsverlierer zunächst isoliert und musste sich seine moralische Reputation wieder erarbeiten. Frankreich fürchtete erneute deutsche Ambitionen innerhalb des Kontinents, und Großbritannien, das sich nach wie vor als das starke Empire sah, galt als moralischer Sieger gegen den Faschismus. Statt sich rationalerweise auf die Führung in Europa zu fokussieren, richteten die Briten ihr Augenmerk auf den Commonwealth und ließen Frankreich auf dem Festland führen.

Den USA fiel also letztlich die Rolle als die ordnende Macht in Europa zu. Es galt nach dem Zweiten Weltkrieg auch keine Zeit zu verlieren. Die Amerikaner sahen nach dem Zweiten Weltkrieg ein, dass sie Deutschland auf die Beine helfen mussten, damit es sich potenziell gegen die Sowjetunion stellen konnte. Erst als den Franzosen klar wurde, dass die USA Westdeutschland vorbehaltlos helfen würden, setzten sie sich für ein demokratisches, in den europäischen Kontext integriertes Deutschland ein. Ohne die Amerikaner wäre wohl die Annäherung dieser beiden Länder nicht möglich gewesen.

Das Momentum lag bei den Franzosen. Im Bewusstsein, dass an einem erneut mächtigen Westdeutschland augenscheinlich kein Weg vorbeiführte, wollten sie zumindest die Art und Weise bestimmen, wie sich Deutschland in Europa einfügte. So schmiedeten der französische Außenminister Robert Schuman und sein Berater Jean Omer Monnet den Plan für die Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS). Beide Länder hatten ihre Ziele damit erreicht: Deutschland war rehabilitiert, und Frankreich hat Deutschlands Schicksal an sich selbst und Europa gekettet. Die weiteren europäischen Integrationsschritte, die zur Bildung der Europäischen Union führen sollten, sind weitgehend bekannt.

Stabilität und Kontinuität hängen von Deutschland ab

Aus der oben beschriebenen Historie lassen sich mehrere Rückschlüsse für die Gegenwart ziehen: Der Kontinent hat sich nicht aus idealistischen Motiven vereinigt. Er tat es aus realpolitischen Gründen und mit der festen Überzeugung, dass jede Seite zumindest einen Teil ihrer Erwartungen erfüllen konnte. Das beschränkte sich auf das Gleichgewicht der Mächte in Europa wie auch auf die wirtschaftliche Zusammenarbeit. Die mangelnde Bereitschaft deutscher Politiker, Hard-Power-Maßnahmen zu ergreifen, bleibt das größte Handicap für die Fortentwicklung einer gemeinsamen EU-Sicherheitspolitik.

Die Europäische Union gleicht immer mehr dem Habsburger Imperium des ausgehenden 19. Jahrhunderts, in dem jede außenpolitische Bewegung innenpolitische Erdbeben innerhalb des Vielvölkerstaates auslösen konnte. Es führt in Zukunft kein Weg daran vorbei, die außenpolitische Strategie danach auszurichten, dass man außenpolitischen Entwicklungen, die innenpolitische Verwerfungen nach sich ziehen könnten, mittels eigener Außenpolitik vorbeugt, bevor sie ein Stadium erreichen, in dem man sich gegen sie verteidigen muss.

Hier ist nicht nur Syrien ein Problem. Bei einer militärischen Auseinandersetzung zwischen der USA und dem Iran ist es unvermeidbar, dass weitere Flüchtlingsströme folgen werden. In Ägypten mit 97 Millionen Einwohnern, einem Durchschnittsalter von 25 Jahren und miserablen sozialen und wirtschaftlichen Verhältnissen ist es nur eine Frage der Zeit, bis das nächste Pulverfass hochgeht. Sollten sich die Verhältnisse vor Ort verschärfen und sollte sich eine neue Flüchtlings- und Migrationsbewegung bilden, besteht die reale Gefahr, dass sich die innenpolitischen Verhältnisse innerhalb vieler EU-Staaten derart ändern, dass auch in Frankreich oder Deutschland Kräfte an die Macht gelangen, die das europäische Projekt beenden. So betrachtet ist die Bereitschaft zur aktiven Außen- und Sicherheitspolitik bis hin zum militärischen Eingreifen für die EU eine Schicksalsfrage.

Der deutsche Außenminister Heiko Maas spricht regelmäßig davon, die Partnerschaft mit den USA zu balancieren, indem die EU dort entschiedener für ihre eigenen Interessen eintritt, wo die USA rote Linien überschreiten. Allerdings ist das noch lange keine außenpolitische Strategie. Die EU war 2015 noch nicht einmal in der Lage, außen- und sicherheitspolitisch in einer Form aktiv zu sein, um die Auswirkungen der Flüchtlings- und Migrationskrise auf die innenpolitischen Verhältnisse in einzelnen EU-Staaten abzuschwächen. Solange aber die EU ihre eigene Stabilität nicht zu gewährleisten vermag und von einer US-dominierten Nato abhängig bleibt, wird es unmöglich sein, sich neben den USA und China als dritter wichtiger weltpolitischer Player zu positionieren.

Solange die EU nicht in der Lage ist, in ihrer unmittelbaren Umgebung für Stabilität zu sorgen, bleibt sie von einer würdigen globalmachtpolitischen Rolle Lichtjahre entfernt. Wie schon oftmals in der Geschichte hängt das Schicksal der EU maßgeblich von Deutschland und Frankreich ab. Die Franzosen sind zum Einsatz von mehr Hard-Power bereit. Die Stabilität und Kontinuität der Europäischen Union hängt aber letztlich von Deutschland ab.