)
Die beiden Großparteien haben keine attraktiven Führer. | Schwierige Koalitionsgespräche zu erwarten. | Neu Delhi. Sie kommt im Helikopter wie eine indische Göttin vom Himmel herab zu den staunenden Massen, die seit Stunden in der Hitze auf sie warten. Mayawati Kumari ist keine begnadete Rednerin, charmante Töne hört man von ihr nicht, sie hält die Leute fast unfreundlich auf Abstand, doch die Menschen in Indien kommen in Scharen, um die Politikerin zu sehen. Mayawati ist ein Dalit, aus der früheren Kaste der "Unberührbaren", und ihre Partei hat ein simples Programm. Mayawati soll Premierministerin von Indien werden. "Behenji", Schwester, nennen ihre Anhänger sie respektvoll.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 16 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Indiens über 710 Millionen Stimmberechtigte sind aufgerufen, zwischen dem 14. April und dem 14. Mai ein neues Parlament und damit eine neue Regierung zu wählen. Es ist weltweit die größte Übung in Demokratie, wenn in den 828.804 Stimmlokalen vom Himalaya-Gebirge bis zur Andamanen-Inselkette eine neue Regierung bestimmt wird. Vor zwei Jahrzehnten noch war die indische Demokratie hauptsächlich eine Einparteienveranstaltung. Die altehrwürdige Kongress-Partei regierte, die Ansprüche der Wähler waren minimal. Doch seit Ende der 80er Jahre wandelt sich das Spiel - immer mehr kleine Parteien erkämpfen sich einen Platz im Parlament. Die Partei von Mayawati ist ein gutes Beispiel für den Trend. Sie regiert im nördlichen Bundesstaat Uttar Pradesh, der frühen Hochburg der Kongress-Partei. Hier hat die Gandhi-Familie, die mächtigste Politiker-Dynastie des Landes, ihren Wahlkreis. Doch die Stimmung ist gedämpft in diesem Wahljahr. Mayawati macht dem Kongress hier seine traditionelle Wählerschaft, die Dalits, streitig.
Das Hemd ist näherals der Rock
Der Erfolg der Regionalparteien in Indien ist einfachen zu erklären. Gewählt wird nach britischem Muster: Eine Partei muss für den Einzug ins Bundesparlament zuerst den Wahlkreis gewinnen. Weil in Indien also die Wahl in den Wahlkreisen gewonnen werden, entscheiden die Alltagsprobleme und nicht die große Politik. Die Terror-Anschläge in der Finanzmetropole Mumbai im November 2008 interessieren kaum jemanden, der sich um Strom, Wasser, Straßen und Arbeit sorgen muss, wie die über 70 Prozent der indischen Bevölkerung, die auf dem Lande unter meist erbärmlichen Bedingungen leben.
In diesem Jahr sind die beiden großen nationalen Parteien, der Kongress und die hindu-nationalistische Bharatiya Janta Party (BJP) nicht in Siegesstimmung. Die Kongress-Partei unter Premierminister Manmohan Singh hatte in den letzten fünf Jahren eine Minderheitsregierung aus zuletzt zehn Parteien geführt, die zudem noch von einer linken Vier-Parteien-Front gestützt werden musste.
Schon allein wegen ihrer fragilen Zusammensetzung hat die Allianz wenig konkrete Erfolge zu verbuchen. Spitzenkandidat Singh ist 76 und hat gerade eine zweite Herzoperation hinter sich. Die starke Frau im Hintergrund ist Parteichefin Sonia Gandhi, die Witwe des früheren Premierministers Rajiv Gandhi. Die 60-Jährige führt die Polit-Dynastie weiter, um das Zepter bald an ihren 38-jährigen Sohn Rahul abzugeben. "Der Kongress geht davon aus, dass das nächste Parlament wegen seiner fragmentierten Zusammensetzung nicht lange halten wird und bereitet schon den Boden für die übernächste Wahl vor", schreibt Politik-Analyst Pankaj Vohra in der "Hindustan Times".
Oppositionsführerim Greisenalter
Ähnliche Überlegungen herrschen auch bei der größten Oppositionpartei, BJP, vor. Spitzenkandidat Lal Krishna Advani ist über 80. Auch wenn er sich jugendlich mit Hanteln und einem Internet-Blog präsentiert, wirkt er kraftlos. Die neue Garde der Partei steht bereits ungeduldig in den Startlöchern. In Indien entscheiden keine Themen, sondern Persönlichkeiten. Doch die fehlen bei diesem Urnengang.
"Kein einzelner Kandidaten kann auf nationaler Ebene die Wahl bestimmen", sagt Indiens bester Wahlanalytiker Yogendra Yada. Laut einer Umfrage des indischen Fernsehsenders CNN-IBN hat kein einziger Politiker einen Zuspruchswert von mehr als 20 Prozent.
Auch Mayawati werden wenig Chancen auf das höchste Regierungsamt eingeräumt. Nur 5,4 Prozent halten sie für die beste Politikerin des Landes. Doch als Koalitionspartner sind die kleinen Parteien nicht mehr aus Indiens Politik wegzudenken. Die politische Landschaft des Subkontinents wird dadurch immer unübersichtlicher.