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Der Zoologe Josef Reichholf schrieb eines der aufschlussreichsten und originellsten Bücher über die Vögel und ihre Interaktionen mit ihrer Umwelt.
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Hamburg. Schleiereulen verfügen über ein derart empfindliches Gehör, dass sie sogar in stockdunkler Nacht auf Mäusejagd gehen können. Merkwürdigerweise hält nichts sie davon ab, ausgerechnet in Kirchtürmen zu nisten und sich dort dem dröhnenden Lärm der Glocken auszusetzen. Anscheinend wird dadurch das Eulengehör nicht im Geringsten geschädigt. Warum das so ist, ist nach wie vor nicht geklärt.
Der Wanderfalke gilt als der schnellste Vogel der Welt. Nach neuesten Messungen erreicht er im Sturzflug eine Höchstgeschwindigkeit von 350 Kilometer pro Stunde. Dass er dabei sein Ziel mit größter Präzision ansteuern und Kollisionen mit gefährlichen Hindernissen verhindern kann, ist ein weiteres verblüffendes Phänomen.
Das Nest, das die südafrikanische Kap-Beutelmeise baut, gilt als das technisch anspruchsvollste und raffinierteste überhaupt. Das beutelförmige Gebilde ist mit einer gut getarnten verschließbaren Einschlupfröhre versehen, unter der sich ein Scheineingang befindet. Dieser blinde Eingang soll Baumschlangen in die Irre führen. Nicht wenige Vogelarten begnügen sich aber damit, ihre Nester direkt am Boden zu errichten. Warum, ist rätselhaft. Der Zoologe und Evolutionsbiologe Josef Reichholf vermutet in einem neuen Buch, dass Bodennester zwar den Nachteil haben, einem Raubtier zum Opfer zu fallen. Doch dafür könnten diese Raubtiere noch gefährlichere Nestfeinde vertreiben.
Einzigartig ausgestattet
Laut Reichholf sind die Vögel die größten Überlebenskünstler der gesamten Tierwelt. Nicht nur hätten sie es geschafft, sich aus eigener Kraft und ohne technische Hilfsmittel über alle Kontinente zu verbreiten und sowohl mit äußerst hohen und niedrigen Temperaturen als auch mit extremen Temperaturunterschieden zurechtzukommen. Sie hätten sich zudem in einem solchen Maß von den Zwängen ihrer Umweltverhältnisse befreien können, dass offenbar werde, wie fragwürdig Begriffe wie "ökologisches Gleichgewicht", "ökologische Nische" oder "invasive Art" seien.
In Reichhholfs Augen befähigt in erster Linie ein Umstand Vögel zu ihren virtuosen Anpassungsleistungen: Sie besitzen eine einzigartige "Herz-Lungen-Luftsack-Maschine" ausgerüstet, die einen extrem hohen Energieumsatz, eine extrem hohe Herzschlagrate und eine Körpertemperatur ermöglicht, die die der Säugetiere erheblich übersteigt. Allein deswegen, erklärt Reichholf, könnten Vögel fliegen, außergewöhnlich schnell oder ausdauernd laufen oder äußerst tief tauchen. Und vielleicht auch nur deswegen, vermutet Reichholf, würde ihr Gehirn so schnell arbeiten und würde es bei ihren halsbrecherischen Flugmanövern so selten zu Unfällen kommen.
Dass Krähen, Raben und Papageien regelrechte Geistesakrobaten sind, hat sich mittlerweile herumgesprochen. Reichholf hebt jedoch hervor, dass sämtliche Nesthocker ziemlich intelligent und lernbegierig seien. Die intelligentesten Nesthocker seien eindeutig die Singvögel, die sich auch deswegen überall hätten durchsetzen können, weil die Evolution sie mit erheblich verbesserten Beinen und Füßen ausgestattet habe.
Gefahr durch Landwirtschaft
Die Feder gehört zweifellos zu den bedeutendsten evolutionären Errungenschaften überhaupt. Doch wie sind die Vögel zu ihrem Gefieder gekommen? Reichholf vermutet, dass Federn ursprünglich einzig und allein dazu dienten, dort überschüssige Eiweißstoffe mitsamt ihren schwefelhaltigen Bestandteilen sowie giftige Farbstoffe unterzubringen. Reichholf nimmt des weiteren an, dass bei jeder Vogelart der Stoffwechsel der Männchen dem der Weibchen im Wesentlichen entspricht.
Josef Reichholf räumt der Analyse der Anatomie, des Stoffwechsels und des Energiehaushalts der Vögel viel Platz ein. Auf der Grundlage dieser Untersuchungsergebnisse versucht er dann, für eine ganze Reihe von Phänomenen schlüssige Erklärungen zu finden.
Was dabei herausgekommen ist, ist immer wieder erstaunlich. Dabei wird auch deutlich, warum die größte Gefahr für die Vögel mittlerweile von der hochindustrialisierten Landwirtschaft und dem Tun und Treiben der Jäger ausgeht. Reichholfs Werk ist eines der aufschlussreichsten und originellsten Bücher über die Vögel und ihre Interaktionen mit ihrer Umwelt überhaupt und hat noch dazu den Vorzug, ohne jeden Fachjargon auszukommen.
Sachbuch
Ornis. Das Leben der Vögel
Josef H. Reichholf
C. H. Beck, 272 Seiten, 20,60 Euro