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Die EU-Kommission führt ein neues Verfahren ein, um gegen Länder mit rechtsstaatlichen Defiziten vorgehen zu können.
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Die Zahl sieben - ihre symbolische Bedeutung spannt sich über Jahrhunderte, Kulturen und Religionen. In der Mathematik, Astronomie, im Film oder in der Musik hat sie ihre Sonderstellung. Und auch im EU-Recht kann sie besondere Kraft entfalten. Zwar ist nicht unbedingt anzunehmen, dass die Unionsbeamten bei der Platzierung des Artikels 7 im Vertrag über die Europäische Union von mystischen Gedanken getrieben waren. Dennoch besitzt der Paragraf für manche eine gewisse Magie. Vielleicht auch deswegen, weil er kaum zur Anwendung gelangen kann.
Es geht um die Wahrung und Förderung der Grundwerte der Gemeinschaft. Dazu zählen deren Mitglieder die Achtung der Menschenwürde, der Gleichheit oder Rechtsstaatlichkeit. Wenn diese Rechte "schwerwiegend und anhaltend" verletzt werden, sind Sanktionen denkbar. Das kann bis zum Boykott von Treffen, Streichen von Finanzhilfen und Entzug von Stimmrechten gehen. Artikel 7 beinhaltet also eine schwerwiegende Drohung: die Aussetzung der EU-Mitgliedschaft.
Ein Hauch davon wehte über Österreich vor gut 14 Jahren, als es zur Bildung einer Koalition zwischen ÖVP und FPÖ kam. Monatelang gab es nur eingeschränkte Beziehungen auf Regierungs- und diplomatischer Ebene. Doch was in Österreich als "Sanktionen der EU" bezeichnet wurde, waren bilaterale Maßnahmen der jeweiligen Länder. Erst danach wurde Artikel 7 so formuliert, dass tatsächliche EU-Aktionen möglich wurden.
Jahre später war ein paar Mal von dem Paragrafen die Rede. Den Andeutungen folgten freilich keine Taten. So war es, als in Frankreich hunderte Roma in Massenabschiebungen nach Rumänien und Bulgarien zurückgeschickt wurden. Oder als die ungarische Regierung umstrittene Verfassungsänderungen durchsetzen wollte. Oder bei den Versuchen des rumänischen Kabinetts, massiven Einfluss auf das oberste Gericht des Landes auszuüben. In allen Fällen forderte die Kommission die Regierungen auf, die rechtsstaatlichen Grundsätze zu respektieren. Viel weiter ging sie nicht.
Auf der anderen Seite hatte sie kaum ein Instrument, das weniger scharf als Artikel 7 war. Das soll sich künftig ändern. Die Brüsseler Behörde führt neue Regeln ein, nach denen sie gegen Länder vorgehen kann, die rechtsstaatliche Defizite aufweisen. Wer - systematisch - europäische Grundrechte verletzt, muss nun mit einem dreistufigen Verfahren rechnen.
Bei einem Verdacht auf Verstöße wertet die Kommission zunächst einmal die Lage aus und tritt mit der Regierung in Kontakt, falls es Anzeichen dafür gibt, dass die Rechtsstaatlichkeit im Land gefährdet ist. Hat das keine Folgen, kann die Kommission in einem zweiten Schritt Empfehlungen geben und eine Frist für die Behebung der Mängel setzen. Bleibt auch dies ungehört, könnte ein Verfahren nach Artikel 7 eingeleitet werden.
Dafür muss sich die Kommission allerdings Zustimmung in den anderen Staaten sowie im EU-Parlament holen. Das wird schwierig. Daher wird Artikel 7 wohl auch künftig bloß Theorie bleiben.