Der Mietvertrag in der langjährigen Parteizentrale Lindengasse wird aufgelöst.
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Wien. Parteizentralen sind keine Anlaufstellen für Bürger, sondern repräsentieren "Macht- und Bürokratiearroganz". So sah es die Mitbegründerin und Ex-Spitzenkandidatin der Grünen, Freda Meissner-Blau, im Jahr 1990. Ihre Partei verinnerlichte diese Worte. Nach dem erstmaligen Einzug ins Rathaus ein Jahr später verlegten die Grünen 1992 ihren Hauptsitz in das zweistöckige Haus Lindengasse 40, mitten im Bezirk Neubau.
Das in die Straße vorstehende, grün bemalte Haus wurde fortan zum niederschwelligen Kommunikationspunkt, zur Institution der Partei. Es kamen Parteifreunde und -gegner. Die Grünen feierten Sommerfeste mit den Nachbarn, die Europäischen Junggrünen tagten im lauschigen Innenhof, Punks besetzten das Haus, Rechtsextreme mauerten den Eingang zu. Doch damit ist es bald vorbei. Wie die "Wiener Zeitung" erfuhr, werden die Grünen nach 26 Jahren aus dem Haus in der Lindengasse ausziehen.
Nach der verheerenden Wahlniederlage im vergangenen Herbst fehle das Geld, um sich die Miete und Heizkosten weiter leisten zu können, heißt es. Zuvor räumten die Grünen bereits die Klubräumlichkeiten und die Parteizentrale der Bundespartei am Rooseveltplatz. Das Haus im Bezirk Neubau ist aber mehr als nur eine beliebige Parteizentrale mit Büroräumlichkeiten.
Der erste Wiener Bezirksvorsteher
Von hier strahlte die grüne Politik in den Bezirk. Die Politiker traf man häufig auf der Straße, die Partei gab sich bürgernah. Mit Erfolg. 2001 erzielte sie erstmals eine relative Mehrheit, stellten somit den ersten Bezirksvorsteher in Wien. Der Bezirk baute Radwege, 30er-Zonen, pflanzte Bäume, gestaltete Vorplätze, schuf mehr Freiraum für Kinder und Jugendliche. Das gefiel der Wiener Bohème.
Heute gilt Neubau als der klassische Bobo-Bezirk von Wien. Kleine, schicke Cafés mit bio-zertifiziertem Kaffee, Boutiquen mit Mode aus Designerhand, Vintage-Shops mit Möbel aus Fairtrade-Holz. Nach 2001 konnten auch die folgenden Bezirkswahlen gewonnen werden.
Das Haus selbst hat eine bewegte Geschichte hinter sich. 1857 erbaut, stand es bis 1940 im Besitz des jüdischen Stoffhändlers Albert Pollak. Dieser wurde von den Nationalsozialisten enteignet. Pollak flüchtete in die Niederlande, wo er drei Jahre später im Alter von 64 Jahren verstarb. 1948 wurde das Haus an Pollaks Erben zurückgegeben. In weiterer Folge verkauften die Erben die Immobilie an die Uniqa-Versicherung, von der es die Grünen 1992 mieteten und es zu ihrem Landessitz ausbauten. Um das Schicksal der ehemaligen Hausbewohner nicht in Vergessenheit geraten zu lassen, brachte die Partei eine Gedenktafel an der Fassade an.
Wie es mit dem Haus nach dem Auszug der Grünen weitergeht, ist fraglich. Die Uniqa äußert sich auf Nachfrage nicht dazu. Fest steht, dass es nicht in einer Schutzzone steht und eine Widmung der Bauklasse 3 besteht. Die Versicherung könnte also ohne Probleme das Haus durch ein höheres Gebäude ersetzen. Finanziell würde sich das auszahlen, wie man an dem Beispiel wenige Häusernummern weiter stadtauswärts sieht. Dort, wo früher das "Kurier"-Gebäude stand, entstehen nun 103 Luxus-Eigentumswohnungen. Eine 110 Quadratmeter große Wohnung im 3. Stock kostet knapp 800.000 Euro, eine 130 Quadratmeter große Dachgeschoßwohnung wird um 1,2 Millionen Euro angeboten.
Stahlbeton statt grüner Fassade
Wohin die Grünen übersiedeln werden, ist noch nicht fix. Zuletzt legte die Partei ein Anbot für ein Stockwerk im Ares Tower. Der 92 Meter hohe, 26-stöckige Büroturm, benannt nach dem griechischen Kriegsgott, befindet sich auf der Donauplatte im 22. Bezirk. Er steht im Gegensatz zur bisherigen Parteizentrale, dem zweistöckigen Haus in Neubau. Grauer Stahlbeton statt grüner Fassade, große Glasflächen statt Innenhof, ein Portier hinter weißgeschwungenem Pult statt offener Eingangstür.
Parteizentralen sind keine Anlaufstellen für Bürger, sondern repräsentieren "Macht- und Bürokratiearroganz". So sah es Freda Meissner-Blau, im Jahr 1990. In Zukunft werden damit auch die Grünen gemeint sein.