Evelyn Regner, Vizepräsidentin des EU-Parlaments, über Abstimmungen, die Bedeutung von Frauen und EU-Schlagzeilen.
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Die Rechte von Frauen und Arbeitnehmern, Kampf für Steuergerechtigkeit und ein soziales Europa: Die sozialdemokratische EU-Mandatarin Evelyn Regner stellt das in den Fokus ihrer Arbeit im Abgeordnetenhaus. Dort ist sie seit 2009 vertreten. Davor leitete die Juristin das Brüssel-Büro des Österreichischen Gewerkschaftsbundes. Am Dienstag wurde Regner zur Vizepräsidentin des EU-Parlaments gewählt - als dritte Österreicherin nach dem ÖVP-Abgeordneten Othmar Karas und der Grünen Ulrike Lunacek, die das Amt bis 2017 ausgeübt hat. Sie ist eine der 14 Stellvertreter der ebenfalls neu gekürten EU-Parlamentspräsidentin Roberta Metsola.
"Wiener Zeitung": Sie waren bisher Vorsitzende des Frauenausschusses, den Sie jetzt verlassen müssen. Tut Ihnen das leid?Evelyn Regner: Das war ein unglaublich toller Job, hier lässt sich extrem viel bewegen. Der Zusammenhalt über die Fraktionsgrenzen hinweg ist da großartig - auch wenn es immer einen großen Clash mit der Rechten gab, etwa bei den Themen Abtreibung oder beim Bestreben, mehr Frauen in Führungspositionen zu bekommen. Ich habe das eingebracht, dass die neuseeländische Premierministerin Jacinda Ardern und die US-Vizepräsidentin Kamala Harris vor dem Ausschuss sprechen, und David Sassoli hat das aufgegriffen, er war ein feministischer Präsident. Als engagierte Parlamentarierin lässt sich extrem viel bewirken. Die Bedeutung der Frauen ist größer geworden, auch im Parlament. Deshalb hat die Europäische Volkspartei (EVP) auch Roberta Metsola als Präsidentschaftskandidatin aufgestellt.
Wissen Sie schon, welchen Bereich Sie übernehmen werden?
Nein, Roberta Metsola wird jetzt schauen, wie sie das Parlament neu organisiert, das wird nun verhandelt. Aber ich werde meine Bemühungen fortsetzen. Ich wünsche mir, dass in der Politik die Gesellschaft so bunt abgebildet wird, wie sie ist. Also wie die Menschen, die in einer U-Bahn sitzen. Es sollen nicht immer nur Männer mit Krawatten in einem bestimmten Alter sein.
Die Wahl hat Corona-bedingt online stattgefunden. Ein Parlament, das auch aus dem Homeoffice funktioniert - ist das auf Dauer vorstellbar? Wird das bleiben?
Für ein Parlament ist es wichtig, dass gestritten wird, dass debattiert wird, dass man anwesend ist. Lebendige Demokratie lebt von Präsenz. Ich setze mich aber schon seit langem dafür ein, dass es Ausnahmeregeln gibt. Frauen zum Beispiel, die kurz vor einer Geburt stehen oder gerade ein Baby bekommen haben, sollen nicht ausgeschlossen werden; sie sind immerhin demokratisch gewählt. Oder jemand, der aus einem gesundheitlichen Grund ausfällt, aber von zu Hause aus teilnehmen kann, sollte auch die Möglichkeit haben. Doch ist das auch eine Frage der technischen Sicherheit, es geht um Demokratie.
Roberta Metsola hat in ihrer Rede gesagt, sie möchte die Brüsseler und Straßburger Blasen durchbrechen.
Naja, das war schon immer so, dass Brüssel und Straßburg weit weg sind von Wien, Tallinn oder Rom - da warte ich auf ihre Vorschläge. Ich jedenfalls habe oft zwei bis drei Besuchergruppen pro Tag hier gehabt. Es hängt schon auch vom persönlichen Engagement der Abgeordneten ab. Ich würde mir aber noch mehr Berichterstattung in den heimischen Medien wünschen. Ich möchte mit bahnbrechenden Schlagzeilen auffallen und nicht mit lustigen Geschichten . . .
Wie: "Die EU will Weihnachten abschaffen" . . .
Genau!
Noch ein Wort zum Wahlverfahren. Laute Kritik kam von den Grünen.
Die haben es selber vergeigt und haben schlecht verhandelt. Als Sozialdemokratin sage ich, ich möchte generell viel an den Strukturen hier im Haus ändern, da liegt vieles im Argen. Die EVP ist vollkommen überrepräsentiert, das entspricht überhaupt nicht den Mehrheitsverhältnissen. Der Generalsekretär wurde noch von Ex-Kanzlerin Angela Merkel installiert, viele Mitarbeiter kommen direkt aus der EVP. Demokratie heißt natürlich, dass man Mehrheiten suchen muss, das ist so wie bei einer Regierungsbildung. Die Grünen waren da auch eingeladen, haben sich aber entschieden, eine eigene Kandidatin aufzustellen. S&D (Sozialdemokraten) und EVP haben mit den Liberalen von Renew verhandelt und sich gegenseitig unterstützt; die Grünen können da nicht erwarten, dass sie sich nicht am Deal beteiligen und dann ihre Kandidatin unterstützt wird.
Die Grünen berufen sich auf das D’Hondtsche Wahlsystem und hätten das gerne fix verankert.
Das müssen wir uns anschauen. Ich möchte nicht zu viel einbetonieren. Wir haben uns entschlossen, einen Cordon Sanitaire gegen die ganz Rechten zu machen. Wenn ich jetzt zu viel von den Minderheitenrechten festlege, öffnet das Tür und Tor für die Rechtsextremen, die die europäische Demokratie abschaffen wollen, die das Geld als Abgeordnete kassieren, um von innen das System zu zerstören. Ich halte es da mit dem Toleranzparadoxon: Wir müssen aufpassen, dass nicht die Zerstörer so viel von den demokratischen Mitteln nutzen, um genau diese demokratischen Strukturen dann zu zerstören. Aber ich nehme den Vorschlag der Grünen sehr ernst.
Oft gibt es den Eindruck, dass das EU-Parlament im Vergleich zu Kommission und Rat, den Ländern, eine untergeordnete Rolle spielt . . .
Die haben die bessere Medienmaschinerie, und natürlich kennt jeder in den Herkunftsländern die Staats- und Regierungschefs. Aber das Parlament ist Co-Gesetzgeber und kontrolliert das Budget. Die Kommission weiß das, die Regierungschefs wissen es weniger. Auch die Kommissionspräsidentin weiß das. Manchmal ruft sie direkt an. Als Gewerkschafterin frage ich: Was spüren die Menschen, was ändert sich in ihrem Leben? Darauf schaue ich als Parlamentarierin. Die Bürger haben die Abgeordneten gewählt und haben so direkten Einfluss auf das, was passiert.