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"Die Grünen haben kein Macht-Gen"

Von Christian Rösner

Politik

Atomthema von Rot-Schwarz besetzt. | Basisdemokratie steht Grünen im Weg. | Ex-Grün-Politiker sieht aber große Chance für die Partei. | Wien. Auch Naturkatastrophen und menschliche Tragödien haben einen politischen Wert: Es geht darum, welche Partei am Ende als diejenige in Erinnerung bleibt, die sich um alles gekümmert hat. Es geht um die Themenherrschaft.


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Dass SPÖ und ÖVP den Grünen ausgerechnet die Themenführung bei der Atomdebatte entrissen haben, führt der Politikexperte Thomas Hofer auf schlechtes Kampagnenmanagement der Grünen zurück. Das bestreitet man nicht einmal in grünen Kreisen - wenn auch hinter vorgehaltener Hand. "Als Zehn-Prozent-Partei muss man auf Themen fokussieren, aber das passiert bei den Grünen nicht", heißt es da. Vielmehr würden auf viele Themen gleichzeitig gesetzt. "Schafft man es einmal, drei Wochen ein Thema voranzutreiben, haben die anderen das Gefühl, dass sie mit ihren eigenen nicht durchkommen und beginnen zu bremsen", sagt ein Insider. Bei der SPÖ sei das anders: "Die haben das Macht-Gen, um gemeinsam ein bestimmtes Thema vorzugeben. Die Grünen haben das nicht."

Genauso sieht das der Buchautor und Rhetoriktrainer Stefan Gössler: "Um eine gute Kampagne machen zu können, braucht man einen, der an der Spitze steht und sagt, was zu tun ist - und genau das widerspricht der basisdemokratischen Struktur der Grünen."

Außerdem haben die Grünen laut dem Experten einen sehr intellektuellen Zugang zu ihren Themen - das sei vor allem in Wahlkampfzeiten an den Plakaten zu beobachten gewesen. "Manche davon hat man sich zweimal anschauen müssen, um sie zu verstehen - im Gegensatz dazu geht Daham statt Islam auf dem direkten Weg ins Unbewusste", so Gössler. Dieser intellektuelle Zugang erzeuge zwar zweifellos Qualität, bringe aber den Inhalt nicht in die breite Öffentlichkeit.

Dazu komme noch die politische Relevanz der Parteien. Die Aussage eines Bundeskanzlers wiege medial gesehen einfach schwerer als die einer Oppositionspartei. "Es stimmt schon, dass die Grünen nach der Katastrophe in Fukushima den Atomausstieg als erste Partei thematisiert haben. Allerdings sind sie mit einer einfachen Presseaussendung im Vergleich zu einem Faymann-Statement chancenlos."

"Müde und alt"

Laut Gössler sind die Grünen müde und alt geworden. Und wer sie noch immer mit Jugend und Rebellion verbindet, sollte laut dem Kommunikationsexperten nicht vergessen, dass die Grünen im Parlament vom Altersschnitt der Abgeordneten her die älteste Partei ist. Auch das mediale Zelebrieren der Schwangerschaft von Grünen-Chefin Eva Glawischnig habe mehr ein Gefühl der Heimeligkeit in die Öffentlichkeit transportiert als Entschlossenheit und Tatendrang. Mit Van der Bellen sei das noch anders gewesen: "Da war er an der Spitze und hinter ihm die basisdemokratischen Grünen", so Gössler.

Für den ehemaligen Bundesgeschäftsführer der Grünen, Lothar Lockl, wird die Sache mit der Themenherrschaft über die Atomdebatte zu tagesaktuell betrachtet. "Ich glaube, dass die breite Bevölkerung das nicht so wahrnimmt", erklärt Lockl der "Wiener Zeitung". Der Atomausstieg sei von den Grünen schon immer vertreten worden und sie würden in dieser Sache auch am glaubwürdigsten wirken, betont Lockl.

"Machen es sehr gut"

Seiner Meinung nach machen es die Grünen derzeit sehr gut: "Grünen-Chefin Eva Glawischnig ist als ausgewiesene Atomexpertin regelmäßig zu sehen und den regionalen Part übernimmt Oberösterreichs Umweltlandesrat Rudi Anschober."

Der ehemalige Politiker sieht das momentane Geschehen vor allem als große Chance für die Grünen. Jahrelang habe man über Umweltpolitik in Expertensprache geredet - Stichwort Emissionshandel, CO2-Equivalente und so weiter - jetzt könne die Diskussion wieder emotional geführt werden. Und auch der "Kompetenzwert" des Themas sei ein langfristiger - sprich: Es wird lange in den Medien bleiben. "Die relevante Frage ist: Können die Grünen dranbleiben oder verzetteln sie sich, beziehungsweise lassen nach."