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Die Grünen im Sinkflug

Von Rainer Mayerhofer

Politik

Laut der jüngsten Umfrage des Forsa-Instituts sind die deutschen Grünen auf neun Prozent abgestürzt.


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Berlin. Rund eineinhalb Wochen vor den Bundestagswahlen stehen bei den deutschen Grünen die Alarmzeichen auf Rot. In der jüngsten Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Forsa ist die Öko-Partei erstmals seit Mai 2009 unter die Zehn-Prozent-Marke gesunken und hält nun bei neun Prozent. Mitte Juli hatten die großen Meinungsforschungsinstitute die Grünen noch bei 15 Prozent gesehen. Bei den Bundestagswahlen 2009 hatten sie 10,7 Prozent erreicht.

Forsa-Chef Manfred Güllner sieht strategische Fehler im Wahlkampf als Grund für das schlechte Abschneiden der Grünen in den jüngsten Umfragen. Mit den Themen Steuererhöhungen und soziale Gerechtigkeit hätten die Grünen bei der von ihnen anvisierten Klientel auf das falsche Pferd gesetzt und seien auf ihre Kernwählerschaft zurückgefallen. Außerdem bereite den Grünen die Debatte über Pädophilie und die Einführung eines "Veggie-Day" in Kantinen Probleme.

Diese Umfrageergebnisse sind eine deutliche Ohrfeige für Jürgen Trittin, der gemeinsam mit Katrin Göring-Eckardt als Spitzenkandidat in den Wahlkampf gezogen ist. Er ist das Gesicht dieses Wahlkampfes und hat die Akzente im Wahlprogramm gesetzt. Trotz Warnungen aus den eigenen Reihen - wie etwa vom grünen Ministerpräsidenten von Baden-Württemberg, Winfried Kretschmann - hat er die empfindliche Erhöhung des Spitzensteuersatzes von 42 auf 49 Prozent und die Einhebung einer 15-prozentigen Vermögensabgabe im Wahlprogramm durchgesetzt und damit die eigene bürgerliche Klientel verschreckt.

Linkspartei hat die Grünen in den Umfragen überholt

Auch das Ziel, drittstärkste Fraktion im Bundestag zu werden, dürfte angesichts der Umfragedaten verfehlt werden. Mittlerweile hat die Links-Partei die Grünen in der Wählergunst überholt und liegt mit zehn Prozent leicht voran.

Die Grünen, die seit Jahren in allen Landtagswahlen zum Teil kräftig zugelegt hatten - nach der Fukushima-Katastrophe vor zwei Jahren und der damit verbundenen Atomdebatte eroberten sie in Baden Württemberg sogar erstmals einen Ministerpräsidentensessel -, laufen angesichts dieses Umfragetrends Gefahr, hinter ihr Bundestagswahlergebnis von 2009 zurückzufallen. Die künftige Grünen-Fraktion könnte statt deutlich größer, wie noch im Frühjahr alle gedacht hatten, sogar kleiner als bisher ausfallen.

Dementsprechend bahnt sich auch in den Reihen der Grünen Unruhe und Kritik am Führungsduo an. Es sei nicht gelungen, in der Debatte um Steuerpolitik deutlich zu machen, dass 90 Prozent der Bürger und Unternehmen entlastet werden, und die Pläne für einen fleischlosen "Veggie-Day" in den Kantinen seien so interpretiert worden, als ob die Grünen eine "Öko-Diktatur" anstrebten, meinte etwa Ruth Kastner, die Landesvorsitzende der Grünen in Schleswig Holstein.

Auch der hessische Grünen-Chef Tarek Al-Wazir räumt ein kommunikatives Problem seiner Partei in der Steuerpolitik ein. "Viele Menschen denken, sie seien betroffen, die es gar nicht sind. Wenn ein Drittel der Leute glaubt, dass sie zu den oberen sieben Prozent gehören, dann stimmt irgendetwas nicht."

Die Partei ist jedenfalls höchst alarmiert. Auf den neuesten Wahlplakaten der Grünen im Finale des Bundestagswahlkampfs wird für "Zweitstimme Grün", geworben. Wenn um Zweitstimmen gebuhlt wird, gibt man zu, nicht besonders gut dazustehen. Zuletzt hat das ja immer die schwächelnde FDP gemacht, um dem Koalitionspartner nicht abhanden zu kommen.

Auf die Erststimme für die Wahlkreiskandidaten hofft man schon gar nicht mehr und überlässt sie dem größeren Wunschkoalitionspartner - im Fall der Grünen der SPD.

Direktmandate für Promis rücken in weite Ferne

Diese Wahltaktik könnte für einige Spitzen-Grüne zum Bumerang werden. Denn wenn sich die Partei mit einer Zweitstimmenkampagne zu retten versucht, dann gibt es kaum noch Aussichten, Direktmandate zu holen. Parteichef Cem Özdemir wollte im Wahlkreis Stuttgart I ein Direktmandat erreichen. Und auch Fraktionschefin Renate Künast hatte gehofft, im Berliner Wahlkreis Tempelhof-Schöneberg das Rennen zu machen. Diese beiden Direktmandate scheinen nun in weite Ferne gerückt zu sein. Und es ist auch nicht sicher, ob das bisher einzige grüne Bundestagsdirektmandat, das Hans-Christian Ströbele in Friedrichshain-Kreuzberg eroberte, erfolgreich verteidigt werden kann.

Die Schwäche der Grünen rückt auch alle Träume von einer rot-grünen Mehrheit im künftigen Bundestag in unerreichbare Gefilde. Wegen des Absturzes der Öko-Partei in den Umfragen, dem nur ein magerer SPD-Zuwachs gegenübersteht (bei Forsa um zwei Punkte auf 25 Prozent), ist Rot-Grün weit von einer Mehrheit entfernt. Die Unionsparteien liegen mit 39 Prozent auch ohne die FDP, auf die in den jüngsten Umfragen 6 Prozent entfallen, deutlich vor Rot-Grün mit 34 Prozent. Union und FDP haben mit 45 Prozent weiterhin einen hauchdünnen Vorsprung vor den Oppositionsparteien - SPD, Grüne und Linkspartei -, die zusammen auf 44 Prozent kommen.