Mitunter muss man zweimal hinhören, um es wirklich zu glauben: "Wir appellieren an die SPÖ, noch einmal über Alternativen wie eine Minderheitsregierung nachzudenken und ernsthaft zu verhandeln." Zu dieser fast dramatischen Wortmeldung sahen sich am Dienstag die Grünen aufgerufen.
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Zur Erinnerung: Die Grünen sind jene Partei, die in den ersten Wochen nach dem 1. Oktober - als in beiden Großparteien die Fans einer großen Koalition noch ein sehr kleines Grüppchen waren - aller Welt, und zuvorderst der SPÖ, mitteilte, die Tolerierung einer roten Minderheitsregierung komme nicht in Frage.
Die Ökopartei wollte unter keinen Umständen mit den Freiheitlichen im selben parlamentarischen Boot sitzen, da man um die eigene, bisher so hochgehaltene politische Unschuld fürchtete. Einzig der streitbare EU-Abgeordnete Johannes Voggenhuber konnte dieser Argumentation seiner Parteivorderen nichts abgewinnen. Er verwies auf die auch für Polit-Puristen nicht ganz unwesentliche Tatsache, dass die Grünen ja ohnehin schon bei der ORF-Wahl und der Einsetzung der beiden Untersuchungsausschüsse zu Eurofightern und Banken gemeinsame Sache mit der verpönten Strache-Partei gemacht hatten.
Der weitere Lauf der Dinge ist hinlänglich bekannt: Die SPÖ verabschiedete sich auch innerlich von der Möglichkeit einer von Grünen und Blauen tolerierten Minderheitsregierung und konzentrierte sich auf die Verhandlungen mit der ÖVP, die Anfang dieser Woche schließlich auch zu einem für beide Seiten akzeptablen Ergebnis führten.
Man muss keineswegs dem verpassten Charme einer SPÖ-Minderheitsregierung erlegen sein, um über das Verhalten der Grünen den Kopf zu schütteln. Viel spricht tatsächlich dafür, dass eine solche wackelige Konstellation nicht mehr auf dem Weg zu Neuwahlen zustande gebracht hätte, als teure Goodies für einzelne Wählergruppen ohne ausreichende Finanzierung zu verteilen. So gesehen müsste man den Grünen ohnehin fast dankbar für ihr erstes, scheinbar kategorisches Njet zu einer Minderheitsregierung sein.
Es sind die Grünen selbst, die sich durch ihr nunmehriges Verhalten massiv beschädigen. Politikfähigkeit ist gerade für die kleinen Parteien ein hohes Gut. Der FPÖ ist dieses während ihrer fünfjährigen Regierungszeit dank zahlloser Eskapaden gründlich abhanden gekommen. Das neue Team um Heinz-Christian Strache ist bemüht, ihre diesbezügliche Reputation in kleinen Schritten - siehe ORF und U-Ausschüsse - zurückzugewinnen.
Die Grünen sind mittlerweile am besten Weg, ihre grundsätzliche Politikfähigkeit - und das heißt ihre Bereitschaft zu schmerzhaften Kompromissen - zu verlieren. Chancen muss man nicht nur erkennen können, man muss auch bereit sein, sie zu nutzen. Es sei denn, man zieht die Bewahrung der eigenen Jungfräulichkeit den realen Gestaltungsmöglichkeiten als Teil einer Regierungskonstellation vor.