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Die Grünen sind nicht mehr fad

Von Franz Schandl

Gastkommentare

Vizekanzler Werner Kogler ist nicht in die Rolle des grünen Parteichefs hineingewachsen, sondern sie in ihn.


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Mitte 2019 wirkte er ziemlich fertig. Da wir gelegentlich dieselbe Wiener Buslinie frequentieren, konnte man leicht feststellen, wie angespannt, abgekämpft, überarbeitet, weggetreten er aus einigen Metern Entfernung erschien. Kein Wunder bei dem Pensum an Vorhaben und Herausforderungen. Seit dem Frühjahr war er im Dauerwahlkampf gewesen, seit Oktober verhandelte er unermüdlich mit der Volkspartei. Werner Kogler ist ein Marathon-Mann schlechthin, das letzte noch immer hyperaktive grüne Urgestein aus der Gründerzeit. Auf jeden Fall ist es unter seiner Regie gelungen, die Partei wieder auf den Erfolgspfad zu führen. Nun gilt er als Retter der Grünen, als der Mann, der sie erstmals in eine Bundesregierung gehievt hat.

Der Steirer gehörte in der Ökopartei stets zu den Pragmatikern, ohne jedoch als Scharfmacher aufzutreten. Er ist zwar ein Realo der ersten Stunde, doch fehlte ihm das Verbissene und Geifernde, sodass er immer schon Sympathien gewann, die weit über seine politische Haltung hinausgingen. Kogler strahlt eine gewisse Freundseligkeit aus, und die kommt nicht abgefeimt oder schleimig rüber, sondern durchaus herzlich und verbindlich. Man tut sich schwer, ihm feind zu sein. Er ist kein Mann der Allüren. Renegat war er ebenfalls nie, dafür war er auch zu jung.

In den Neunzigerjahren etwa saß er in der Dezentrale und erledigte den Haus- und Hofsekretär. Es war ein verwinkeltes und eher dunkles Büro in den Hinterhöfen der Grazer Altstadt. Kogler war sicher ein ganz ausgezeichneter Apparatschik. Was gar nicht böse gemeint ist, zeigt es doch an, dass er sich nicht zu schade gewesen ist, Knochenarbeit für seine Partei zu leisten, ein Mann der zweiten oder dritten Reihe zu sein. Auch wenn er sich jetzt gern mit Quereinsteigern umgibt, so hat er selbst gar nichts von diesem Typus. Den Parteivorsitz hat er nicht erobert, er ist ihm nach dem desaströsen Wahlergebnis 2017, als die Ökopartei aus dem Nationalrat geflogen ist, einfach zugefallen, weil niemand so recht das Amt wollte. Aufgedrängt hat er sich nicht, eher aufgeopfert. Karrierist ist er keiner.

Die Hemdsärmeligkeit der neuen Grünen dokumentiert Kogler durch seine Körpersprache. Die Ärmel sind aufgekrempelt, damit die stark behaarten Unterarme unbedingt sichtbar werden. Das ist weniger Kalkül als Masche. Auf jeden Fall vermittelt da einer, anpacken und zugreifen zu wollen. Nicht er ist in die Rolle hineingewachsen, sondern die Rolle des Parteichefs in ihn.

Keine originellen Vorschläge oder Überlegungen

Nach zwei Jahren strahlt er nun, als sei er es immer schon gewesen. In den Wochen nach der erfolgreich geschlagenen Nationalratswahl wirkte er sogar von Verhandlungsrunde zu Verhandlungsrunde frischer, als er tatsächlich sein konnte. Die Gespräche mit der Volkspartei empfand er offenbar nicht nur als Kür, sondern als Kur. Schließlich ist der Vizekanzler 25 Jahre älter als sein Gegenüber, Bundeskanzler Sebastian Kurz, und in der neuen Regierungsriege, die einen Generationenwechsel vollzieht, mit 59 Jahren einer der Ältesten.

Programmatisch ist bei ihm jedoch nichts, was nicht konventionell wäre. Originelle Vorschläge oder Überlegungen suchen wir vergebens. Das gilt insbesondere natürlich auch für das türkis-grüne Regierungsprogramm, wo Kühnheit und Perspektive keinen Eingang gefunden haben. Und nicht bloß, weil die ÖVP unter Kurz das verhindert hat. Kogler ist ganz ein Mann des politischen Geschäfts und dessen fragwürdiger Geschäftstüchtigkeit. Jetzt will er einmal ran und einmal machen.

Der schier unbegrenzte Glaube an den Markt feiert unter dem Label "Ökosoziale Marktwirtschaft" ein fröhliches Revival. Da gilt das Unbedenklichkeitszertifikat. Wobei Kogler das Kunststück versucht hat, den Konservativen unentwegt ihr eigenes Konzept schmackhaft zu machen, stammt dieses doch von einem ehemaligen schwarzen Vizekanzler namens Josef Riegler. Auch der ein Steirer. Unablässig hat Kogler auf die Schwarz-Türkisen eingeredet, dass sie gefälligst das tun sollen, was sie zuweilen propagieren. Anders als vielfach behauptet, gilt es festzuhalten, dass in zentralen Punkten (Arbeit, Standort, Konkurrenz, Leistung, Geld, Markt, Wachstum) nicht Differenzen, sondern Übereinstimmungen bestehen. Die Wertegemeinschaft ist also nicht einmal angekratzt. Das passt schon zusammen. Insofern ist es auch Unsinn, dem Grünen-Chef nach der Regierungsbildung mit Kurz nun Sätze des Wahlsommers vorzuhalten wie: "Mit dieser ÖVP will ich mir nicht einmal was vorstellen."

Langweilig beim Lesen, aber kurzweilig beim Zuhören

Kogler versteht es zweifellos zu reden, also frei zu reden, selbst wenn er ab und zu nur noch schwadroniert. Da macht er dann kurz Pause und sagt irgendwas. Da hört er dann einfach nicht mehr auf. Da weiß sich einer zu helfen, auch wenn er gar nichts mehr weiß. So klingt manchmal gut, was sich niemand in ein Manuskript zu schreiben erlauben würde. Als spät entdeckte Rampensau steigert sich der grüne Publikumsliebling nunmehr oft in einen Monolog sich multiplizierender Schlagworte. Indes, und das ist beachtlich, erscheint er nicht grob oder primitiv, sondern frech, kernig, steirisch. Zuweilen sogar charmant und witzig.

Seit Kogler sind die Grünen nicht mehr fad. Da wirkt einer vor allem identisch mit sich, überzeugend weil überzeugt. Der Gedanke, dass er gerade sagt, was ihm einige Berater gesagt haben, was er nun sagen soll, kommt einem jedenfalls nicht. Er spricht selbst, selbst wenn er nichts sagt. Das lesen zu müssen, ist ziemlich langweilig, es gehört zu haben, ist hingegen äußerst kurzweilig. So ist Kogler durchaus auch ein Meister der dosierten Sager. Launige Bonmots inbegriffen, Selbstkritik detto. Der Schuss Populismus ist nie zu viel. Anders als sein Partner Kurz erscheint Kogler nahbar, wie der gewöhnliche Promi von nebenan, falls es so etwas gibt.

Seine Art, sich pointiert auszudrücken, ist allerdings die Mundart. Schon nördlich von Regensburg wird es schwer, dem Steirerdeutsch auch nur zu folgen. Auf dem internationalen Parkett wird der Vizekanzler wenige Möglichkeiten haben, sich zu präsentieren. Dafür war der Nachtslalom in Schladming am Dienstag für Kogler ein Heimrennen der besonderen Art. Da war er als Oststeirer in der Obersteiermark nicht bloß dabei, das war er selbst. So als wäre es stets sein Metier gewesen. Da ist einer angekommen.