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Abrechnung mit Ministerien und Rektoren. | "Wiener Zeitung": Die vergangenen zwei Jahre waren hochschulpolitisch extrem spannend. Wie fällt Ihre Bilanz als ÖH-Vorsitzende aus? | Sigrid Maurer: Es war turbulent und anstrengend. Es waren auch viele schwierige Situationen dabei, mit denen wir aber gut umgegangen sind.
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Unser Ziel war es, die ÖH wieder sichtbar zu machen, das haben wir geschafft. Dass sich insgesamt hochschulpolitisch wenig verändert hat, ist tragisch. Aber ohne unsere Interventionen hätten die Unis nicht einmal die 80 Millionen Euro bekommen, die jetzt budgetiert sind.
Was haben Sie für sich persönlich mitgenommen?
Ich habe gelernt, so einen riesigen Betrieb wie die ÖH zu managen. Wir haben 15 Fixangestellte, über 50 Ehrenamtliche und ein Budget von mehr als einer Million Euro. Das ist recht ungewöhnlich, wenn man Mitte 20 ist. Ansonsten nehme ich das Wissen mit, wie Politik funktioniert, wobei das eher zum negativen Teil gehört. Ich bin total entsetzt darüber, wie krass ahnungslos die Politik ist und wie schlecht die Qualität der Arbeit in den Ministerien ist. Wissenschaftsministerin Beatrix Karl ist ein besonders schlechtes Beispiel in Sachen Kompetenz. Es ist logisch, dass man als Spitzenpolitiker nicht alles wissen kann. Aber es geht nicht, dass auch die Leute, die im Hintergrund arbeiten, keine Visionen haben.
Aber sind nicht Beamte dazu da, zu verwalten und nicht, Visionen zu haben?
Das stimmt nicht. Spitzenbeamte wie Sektionschefs können ganz andere Impulse setzen. Wenn sie es tun, kommt es dann aber nur zu Dingen wie der Streichung der außeruniversitären Forschung.
Was hätten Sie dem Wissenschaftsministerium in Zeiten des Sparens geraten?
Da gibt es viele Möglichkeiten. Eine wäre die Stundung der Mieten durch die Bundesimmobiliengesellschaft, wie man es bei den Schulen gemacht hat. Grundsätzlich sollten die Gebäude an die Unis übertragen werden. Fakt ist, dass die Universitäten viel mehr Geld brauchen, das ist eine Frage der Prioritätensetzung. Hier ist Karl überhaupt nicht durchsetzungsfähig. So, wie ihre Bestellung abgelaufen ist, war das wohl Kalkül.
Sie haben mit Johannes Hahn und Beatrix Karl zwei Minister erlebt. Wer ist besser mit der ÖH umgegangen?
Karl ist wesentlich umgänglicher als Hahn. Er hat uns bei unserem ersten Termin mit den Worten "Sie sind nicht von meiner Partei" begrüßt, wollte nicht mit uns reden und hatte keinen Spaß am Thema.
Karl hat mehr Spaß?
Grundsätzlich ja. Sie ist unverbrauchter.
Gibt es einen Punkt, wo Sie sagen: Das hat die Ministerin gut gemacht?
Das einzige Thema, das man ihr wirklich abkauft, ist die Frauenförderung. Auch ministeriumsintern herrscht nicht mehr der typisch konservative Umgang mit Feminismus nach dem Motto: Die Frauen schaffen das alles aus eigener Kraft. Ihr ist bewusst, wie die Mechanismen laufen. Ihr Vorstoß für die Gesamtschule war auch wichtig, aber wohl falsch getimed oder intern nicht vernetzt.
Was hat die ÖH gut gemacht?
Es ging darum, uns klar zu positionieren. Wir haben bildungspolitische Konzepte von der Kindergartenpädagogik bis zur Lehrerausbildung ausgearbeitet. Wichtig waren auch der Ausbau der Maturantenberatung, die Politisierung der Studierenden und ihr Zuspruch zu unser Politik. Uns wird immer vorgehalten, die Studierenden wollten das nicht, wofür wir stehen. "Uni brennt" war der lebende Gegenbeweis dafür.
"Wir machen widerständige Politik und fallen nicht um." Dieser Satz stammt von Ihnen - im Wahlkampf 2009. Sind Sie einmal umgefallen?
Wir hätten nie die Gelegenheit gehabt, umzufallen, mit uns wurde nie verhandelt. Im Gegenteil: Wenn diskutiert wurde, haben wir klar unsere Grenzen abgesteckt. In ein paar Situationen sind wir aufgestanden und gegangen, etwa beim Hochschuldialog und beim Unigipfel. Damals haben sie uns nach Strich und Faden verarscht und geglaubt, wir lassen uns das gefallen. Abgesehen von der unteren Beamtenebene gibt es seitens der Politik kein ernsthaftes Bestreben, die Leute einzubinden.
War der Hochschuldialog sinnvoll?
Es war der richtige Ansatz, alle beteiligten Personen ohne Ergebnisdruck an einen Tisch zu bringen. Er hat auch dazu geführt, dass sich Fachhochschulen und Unis annähern mussten. Dadurch, wie die Ministerin agiert hat, wurde er aber ad absurdum geführt.
Ihr Urteil über die Uniko?
Die Uniko hat ein Problem, Positionen zu finden. Bei weitem nicht alle Rektoren sind für Studiengebühren. Wir haben ein gutes Gesprächsklima mit den Rektoren, wünschen uns aber, dass sie in manchen Punkten klarer auftreten.
Was hat die "Uni brennt"-Bewegung erreicht?
Ohne "Uni brennt" wäre Hochschulpolitik nie breit in der Gesellschaft diskutiert worden. Es gab eine zusätzliche Geldausschüttung und den Hochschuldialog. Und es war ein emanzipatorischer Moment - die Leute haben erkannt, dass sie die eigenen Angelegenheiten selbst in die Hand nehmen können.
Die Rektoren haben gerade erst 300 Millionen Euro mehr im Jahr gefordert, sonst drohe der Abbau von 3000 Stellen. Die ÖH fordert indes 7000 Stellen zusätzlich. Wie soll das gehen?
Es gibt theoretisch das Ziel, zwei Prozent des BIP bis 2020 für den tertiären Sektor aufzuwenden. Dieses Geld wäre in erster Linie ins Personal zu investieren. Bei der Studienplatzfinanzierung gibt es zwei Hauptprobleme: Es gibt keine seriöse Berechnungsmethode für die Normkosten, und es wäre ein Wahnsinn, die Finanzierungsströme für Forschung und Lehre zu trennen. Forschungsgeleitete Lehre ist die Grundbedingung für universitäre Ausbildung. Unser Finanzierungsmodell sieht vor, stattdessen in Betreuungsverhältnissen zu rechnen, damit sind Forschung und Lehre abgedeckt. Unser Modell braucht keine Studienplatzbeschränkung.
Aber woher nehmen Sie das Geld dafür?
Das Geld ist da. Abgesehen davon, dass man die vorhandenen Mittel anders verteilen muss, fordern wir schon seit langem die Wiedereinführung der Erbschafts- und Schenkungssteuer. Durch verschiedene vermögensbezogene Steuern könnte man bis zu 13 Milliarden Euro jährlich lukrieren.
Wäre es mit Blick auf die derzeitige finanzielle Situation nicht besser, Zugangsbeschränkungen einzuführen, anstatt die Illusion des freien Zugangs aufrechtzuerhalten - mit dem Ergebnis, dass viele Studierende keinen Platz in Kursen bekommen?
Ich sehe das überhaupt nicht so. Es gibt ein Recht auf unentgeltliche Bildung. Und es ist verdammt noch einmal die Aufgabe des Staates, zu garantieren, dass alle Zugang zu höherer Bildung haben.
Forscher sagen aber auch, dass die soziale Durchlässigkeit durch Zugangsprüfungen steigt, weil dann nicht der finanzielle Hintergrund zählt, sondern die Leistung.
In der Medizin hat sich die soziale Durchmischung zwischen 2002 - also vor den EMS-Tests - und 2009 verschlechtert. Ich will nicht von der Hand weisen, dass es Leute aus "bildungsfernen Schichten" in einer harten Umgebung noch einmal schwerer haben. Aber das liegt an den unterschiedlichen Grundvoraussetzungen.
Karl wirbt für eine Verlängerung des Moratoriums für die Medizin-Quoten. Die ÖH will eine Lösung auf EU-Ebene. Wie soll diese aussehen?
Wenn das Moratorium ständig verlängert wird, denkt man nie darüber nach, wie es anders gehen könnte. Wir fordern einen europäischen Geldpool, aus dem die Hochschulbildung finanziert wird.
Wo steht die Hochschulpolitik in zehn Jahren?
Hoffentlich woanders. Wir werden ganz sicher nicht das Ziel erreichen, die Akademikerquote auf 38 Prozent zu erhöhen. Die Diskussion um Zugangsbeschränkungen wird sich insofern erübrigt haben, als die Studierendenzahlen nicht mehr so stark steigen. Wenn die wirtschaftspolitischen Ideen der EU greifen, wird es einen stärkeren Fokus auf das Thema geben, vielleicht werden die Unis irgendwann ausfinanziert.
Wo stehen Sie in zehn Jahren? Sehen wir Sie im Nationalrat wieder?
Ich schließe das nicht aus, aber es ist im Prioritätenplan ganz weit unten. Ich glaube, dass ich immer irgendwie politische Arbeit machen werde. Und es gibt auch keinen Deal mit den Grünen. Ich möchte mich nicht in irgendeine Richtung drängen lassen. Und ich finde, dass die Grünen sehr langweilig sind.
Wieso sind sie langweilig?
Sie sind zu bürgerlich und konservativ und viel zu wenig links. Ich würde mir ein klareres, jüngeres Profil wünschen, aber ich bin nicht Parteimitglied.
"Ich bin total entsetzt darüber, wie krass ahnungslos die Politik ist und wie schlecht die Qualität der Arbeit in den Ministerien ist."
"Wir hätten nie die Gelegenheit gehabt, umzufallen, mit uns wurde nie verhandelt."
Zur Person
Sigrid Maurer, geboren am 19. März 1985, ist seit 2009 Vorsitzende der Österreichischen Hochschülerschaft (ÖH). Seit 2005 engagiert sich die gebürtige Tirolerin für die Grünen und Alternativen Studenten (Gras), zunächst an der Uni Innsbruck, später in Wien. Ursprünglich studierte sie Musik, später sattelte sie auf Politikwissenschaften um. Nun will Maurer, die die ÖH durch ihre Wortgewandtheit in die Schlagzeilen gebracht hat, Volkswirtschaftslehre studieren. Zur ÖH-Wahl (24. bis 26. Mai) tritt sie nicht mehr an. Gerüchte, wonach sie ein fixes Ticket auf einer grünen Liste für den Nationalrat haben soll, bestreitet Maurer im Interview.