Seit der Ukraine-Krise liebäugelt der weißrussische Autokrat Lukaschenko wieder mit dem Westen.
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Minsk/Moskau. Besser hätte es für Alexander Lukaschenko nicht laufen können: Vor kurzem noch wurde der weißrussische Präsident in der EU als "letzter Diktator Europas" geschmäht, war der mit einem Einreiseverbot belegte Autokrat von Minsk persona non grata. Seit Lukaschenko nach den letzten Präsidentenwahlen im Dezember 2010 eine Demonstration weißrussischer Oppositioneller niederknüppeln hat lassen, gilt Weißrussland im Westen als Schmuddelkind. Seit der Wahl Lukaschenkos zum Präsidenten im Jahr 1994 und dem damit verbundenen Aufbau eines autoritären Präsidialsystems hat nur ein einziger westlicher Politiker Minsk besucht - der italienische Premier Silvio Berlusconi.
Doch die Zeit der Abgeschiedenheit und Isolation scheint für Minsk vorbei. Am Mittwoch rückt die Zwei-Millionen-Stadt durch den Vierer-Gipfel, der den Ukraine-Konflikt entschärfen soll, ins Zentrum der Weltpolitik. Mit Angela Merkel und François Hollande sind gleich zwei namhafte europäische Politiker bei Lukaschenko zu Gast. Ein Umstand, der dem Präsidenten laut Beobachtern innenpolitisch hilft - schließlich will der seit mehr als 20 Jahren regierende Instinktpolitiker, der stets so spricht, als würde er laut nachdenken, im November wiedergewählt werden.
Lukaschenko bei EU-Gipfel?
In erster Linie profitiert Lukaschenko allerdings außenpolitisch: Die Ukraine-Krise hat für das nur bedingt souveräne Weißrussland, das mit Russland und Kasachstan in einer Eurasischen Wirtschaftsunion verbunden ist, den Handlungsspielraum wieder erhöht. Lettland, das derzeit den EU-Vorsitz innehat, schloss sogar eine Einladung Lukaschenkos zum Gipfel der Östlichen Partnerschaft der EU, an der Weißrussland beteiligt ist, im Mai in Riga nicht aus. Ein Vertreter des lettischen Außenministeriums brachte vor kurzem einen Beitritt Weißrusslands zum Europarat ins Spiel - der osteuropäischen Autokratie wurde die Mitgliedschaft in dem Gremium, in dem auch Staaten wie Aserbaidschan und Russland sitzen, aufgrund der problematischen Menschenrechtslage bislang verwehrt. Auch über Visaerleichterungen für Weißrussen wird wieder diskutiert. Lukaschenko scheint so in der Lage, im Poker mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin die westliche Karte zu spielen.
Grund für die westlichen Avancen Richtung Minsk dürfte vor allem der Kurs gewesen sein, den Lukaschenko in der Ukraine-Krise gefahren ist. Der belarussische Autokrat hatte trotz seiner Furcht vor westlich unterstützten "Farb-Revolutionen", die er mit Russlands Staatschef Wladimir Putin teilt, die neue ukrainische Führung von Anfang an anerkannt.
Deshalb und weil der Pragmatiker Lukaschenko bereits mit dem prowestlichen ukrainischen Ex-Präsidenten Wiktor Juschtschenko gute Beziehungen pflegte, haben ihn ukrainische Politiker in der im Frühjahr ausgebrochenen Krise um Unterstützung gebeten.
Dabei gilt Belarus, ein stark russifiziertes Land mit nur schwach ausgeprägter nationaler Identität, als Musterbeispiel dessen, was Moskau als "nahes Ausland" beschreibt. Weißrussland und Russland sind eng aneinandergekettet - nicht nur kulturell, auch wirtschaftlich: Belarus hat sein Pipeline-Netz an Russland verkauft, der weißrussische Rubel ist an den russischen gekoppelt, das Land ist abhängig vom billigen russischen Gas. Auch militärisch sind die beiden Staaten eng verbunden, man hält regelmäßig gemeinsame Manöver ab. Russland unterhält im kleinen Nachbarstaat eine Radarstation, stationiert dort Kampfflugzeuge und Hubschrauber und will bis 2016 einen eigenen Luftwaffenstützpunkt aufbauen. Lukaschenko selbst galt zumindest früher als moskautreu: 1997 hatte er mit dem damaligen russischen Präsidenten Boris Jelzin einen gemeinsamen Staat vereinbart. Das Projekt kam dann aber nie so recht vom Fleck - angeblich soll Lukaschenko das Interesse daran verloren haben, nachdem sich seine Aussichten, Jelzin im Kreml nachzufolgen, verflüchtigten.
Kontakt zu USA und Nato
Trotz dieser engen Bindung hat man in Minsk die Unabhängigkeit schätzen gelernt - und will sie verteidigen: Am 1. Februar ist in Belarus ein Gesetz in Kraft getreten, das das Erscheinen von Soldaten ohne besondere Kennzeichnung als "ausländische Aggression" einstuft. Offiziell wird das Gesetz mit der Bedrohung durch die Nato begründet, aber Minsker Politologen sehen Russland als Adressaten. Zumal auch Lukaschenko immer wieder Richtung Russland poltert: "Unsere Erde überlassen wie niemandem. Es soll bloß niemand glauben, dass Weißrussland so etwas wie eine "russische Welt" ist", schimpfte der Staatschef vor kurzem in Anspielung auf das von Russland propagierte Konzept der "Russki Mir", einer sprachlich-kulturellen Einheit von Russen, Weißrussen und Ukrainern.
Weißrussland befürchtet ebenso wie Kasachstan, dass sich das ukrainische Szenario im eigenen Land wiederholen könnte. Beide Staaten haben zuletzt vermehrt Kontakt zu US-amerikanischen und Nato-Stellen gesucht. Die Versuche Russlands, eine eurasische Integration auf den Weg zu bringen, leiden somit unter einer schweren Hypothek.