Fünf Tage haben die Österreicher noch Zeit zu ergründen, was nach dem Wahlsonntag passieren könnte. Bitte halten Sie sich fest, am besten an einem Einkaufswagerl.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 16 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Fällt überhaupt noch jemandem auf, dass wesentliche Zukunftsthemen im Wortgeklingel der letzten Wahlkampfwoche nicht mehr vorkommen? Mit seinen "fünf Punkten" hat sich Werner Faymann nicht nur zum sozialpolitischen Meinungsführer erhoben, sondern die politische Perspektive radikal auf das Haushaltsgeld der Österreicher verengt - der Konsumenten, Studenten, Frühpensionisten, Pflegebedürftigen und Familien mit Kindern. Das sind nicht bloß ehrenwerte Anliegen, sondern zentrale, sofern man sich zum Sozialstaat bekennt, in dem es eine höhere Gerechtigkeit geben soll als die des hemdsärmeligen Wettbewerbs.
Aber hat schon jemand etwas über die Zukunftssicherung gehört, die über den Horizont des privaten Geldbörsels und das Leistungspaket der viereckigen E-Card hinausgeht und die Zukunft der Republik Österreich erfasst? Wo bleibt der Kraftakt zur Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit Österreichs in Europa, wo die Bildung, wo die Diskussion der Standortbedingungen in der globalisierten Wirtschaft und wo die Bundesstaatsreform? Das Wort "Modernisierung" ist, ohne dass wir es gemerkt haben, aus dem politischen Wortschatz gestohlen worden
Null Aussagen dazu von sozialdemokratischer Seite und eher defensive Einsprengsel von Seiten der ÖVP, die sich von der SPÖ auf das angebliche Bremser-Trio Schüssel-Molterer-Bartenstein festnageln lässt. Der ÖVP sitzt offenbar die Niederlage von 2006 so tief in den Knochen, dass sie sich nicht zu erinnern wagt, wann einige Strukturreformen nach jahrzehntelangen Versäumnissen doch gelungen sind: nämlich in der Ära des Bundeskanzlers Wolfgang Schüssel. Unter anderem auch deshalb, weil nach 2000 lautstark über diese Aufgabe geredet und ein mühevoller Konsens hergestellt wurde, der das Volk erreichte. Und auch, weil damals keine große Koalition von rot-schwarzen Bänkelsängern am Werk war, sondern eine Regierung, die wie nach einem vorweggenommenen Mehrheitswahlrecht funktionierte. In ihr sicherte sich der eine Teil (die ÖVP) weitgehende Handlungsfreiheit, weil der andere Teil (erst die FPÖ und dann das BZÖ) sich darauf beschränkte, innerparteiliche Beziehungsgeflechte zu einem variationsreichen Selbstmord-Kamasutra auszuleben.
In die "neue" politische Ära nach der kommenden Nationalratswahl hochgerechnet wirkt alles, was Faymann in den letzten Tagen programmatisch von sich gab, wie eine Retro-Ausgabe provinzieller Staatspolitik der achtziger und neunziger Jahre. Einigkeit mit der Gewerkschaft (diese ist schon wieder saniert), Finanzausgleichs-Plausch mit den Bundesländern, Sozialpartnerschaft, staatliche Patronanz über Bürgerwohl und, weil die Mehrheitsverhältnisse wenig Phantasie zulassen, staatstragender Schleichhandel mit dem erprobten Koalitionspartner ÖVP.
Faymann liegt schon richtig, wenn er über extreme Auswüchse der Privatwirtschaft amerikanischen Zuschnitts ätzt. In seiner politischen Vision, die in ihrer Engmaschigkeit der Wiener Gemeindebauarchitektur nicht unähnlich ist, könnte sich freilich auch der nächste Bawag-Skandal bequem entfalten.
Da anzunehmen ist, dass ein großer Handelskonzern seine TV-Werbespots nicht willkürlich, sondern wohlüberlegt als Auftakt zur ORF-Pressestunde mit dem Mehrwertsteuerhalbierungs-Grenadier Faymann bucht, sei der am Sonntag ausgestrahlte Billa-Slogan als Motto für eine Regierungsdoktrin probiert, die bald Realität werden könnte: "Die günstigste Butter bei Clever."