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Die gute wissenschaftliche Praxis

Von Peter Hilpold

Gastkommentare
Peter Hilpold ist Professor für Völkerrecht, Europarecht und Vergleichendes Öffentliches Recht an der Universität Innsbruck und Autor von mehr als 250 Publikationen.

Die 15. Jahrestagung der Österreichischen Agentur für Wissenschaftliche Integrität ist ein Grund zum Feiern, aber auch für weitere Überlegungen.


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Heute findet in Wien die heurige Jahrestagung der Österreichischen Agentur für Wissenschaftliche Integrität (ÖAWI) statt. Wer in den vergangenen 15 Jahren in Österreich im Wissenschaftsbereich tätig war, weiß, dass mit der 2008 gegründeten ÖAWI große Hoffnungen verbunden waren. Kurze Zeit danach wurde der Skandal rund um die Dissertation des deutschen Ministers Karl-Theodor zu Guttenberg publik. In Österreich war man stolz, über eine unabhängige Kontrollinstanz zu verfügen, die genau solche Problemstellungen angehen sollte.

Die ersten Maßnahmen dieser Organisation waren vielversprechend. In einem aufsehenerregenden Fall in Innsbruck (2010/2) stellte die ÖAWI einen Verstoß gegen die gute wissenschaftliche Praxis fest: Ein Habilitand hatte weite Teile seiner Dissertation in seine Habilitationsschrift hineinkopiert, ohne jeglichen Ausweis - ein international einzigartiger Fall. Die weiteren Entwicklungen zeigten erste Grenzen der ÖAWI auf: Die Habilitation des Betreffenden blieb aufrecht, er wurde sogar auf eine Professur berufen und stieg in der Folge zu höchsten Ämtern auf.

Klare Richtlinien

Dennoch blieben die Hoffnungen der Wissenschaftsgemeinde bestehen, dass nun eine unabhängige Einrichtung klare Richtlinien zur guten wissenschaftlichen Praxis vorgeben würde. Zahlreiche aufsehenerregende Fälle blieben in der Folge aber ohne befriedigende Antwort, wobei sich immer deutlicher folgende Problemstellung herauskristallisierte:

In vielen Bereich fehlten (und fehlen nach wie vor) verlässliche, verbindliche Kriterien der guten wissenschaftlichen Praxis (so in den Rechtswissenschaften).

Die Universitätsautonomie, die in vielen Bereichen Probleme aufwirft, zeigt sich im vorliegenden Kontext als besonders kontraproduktiv: Was tun, wenn eklatante Regelverstöße einfach nicht verfolgt werden? Es gibt hier offenkundig keine höhere Instanz, die hier tätig werden kann oder will. Dass hier ein "Wissenschaftsmarkt" das Problem lösen würde, ist pure Illusion.

Das Universitätsgesetz wurde zwar angepasst, um Verstöße gegen die gute wissenschaftliche Praxis zu verfolgen (Paragraf 51 Absatz 2 Zeilen 31 bis 33). Da aber die Nichtigerklärung einer Beurteilung gemäß Paragraf 73 Universitätsgesetz eine "Erschleichung" und damit den Nachweis einer vorsätzlichen Täuschung voraussetzt - ein Nachweis, der bei strengem Maßstab kaum zu erbringen ist -, bleiben zahlreiche Verstöße gegen die gute wissenschaftliche Praxis ohne Konsequenzen.

Neue Schwerpunktsetzung

Es gäbe hier somit viel zu tun, so bräuchte es insbesondere:

Vertiefende Studien zur guten wissenschaftlichen Praxis, aufgegliedert nach Disziplinen.

Eine Neufassung der Regeln zur guten wissenschaftlichen Praxis im Universitätsgesetz.

Eine Neuausrichtung der Schwerpunktsetzung in der Sanktionierung von Verstößen gegen die gute wissenschaftliche Praxis: Wenn Studierende erfolgreich eine Unkenntnis der Regeln der guten wissenschaftlichen Praxis vorbringen können ("unschuldig kraft Unkenntnis", um den unübertrefflichen Professor Volker Rieble zu paraphrasieren), dann müsste umgekehrt die Wissenschaftseinrichtung zur Verantwortung gezogen werden, die weder Grundlagen der guten wissenschaftlichen Praxis (nachweislich) vermittelt noch deren Einhaltung kontrolliert beziehungsweise sicherstellen kann.

In diesem Punkt hat der Unterfertigte stets eine andere Haltung eingenommen als die "Koryphäe der Plagiatsverfolgung" in Österreich, Dozent Stefan Weber, der konsequent die individuelle Verantwortung der Studierenden einmahnt. Der Unterfertigte vertritt dagegen die Auffassung, dass den Studierenden ein Vertrauensvorschuss gebührt und die Universitäten ihrerseits den Nachweis zu erbringen haben, dass Grundprinzipien der guten wissenschaftlichen Praxis vermittelt werden und dass deren Einhaltung auch eingefordert wird. Wie dem auch sei (es mag hier auch viele Grenzfälle geben): Was sicherlich nicht angehen kann, ist, dass sich alle Beteiligten der Verantwortung entziehen.

Reformen werden kommen

Beinahe wäre es im Vorjahr gelungen, ein großes Projekt unter der Leitung von Dozent Weber zu lancieren, in dessen Rahmen alle oben angesprochenen Punkte einer umfassenden Überprüfung unterzogen worden wären. Wahre Grundlagenarbeit hätte geleistet werden sollen. Auf dem Wissenschaftsblog von Dozent Weber - und in zahlreichen Medien - kann nachgelesen werden, weshalb dieses Projekt kurz vor dem konkreten Start abgesetzt worden ist: Es stehe "Aussage gegen Aussage", heißt es - und das bedeutet in Österreich in der Regel, dass alles bleibt, wie es ist.

Die Reformen werden kommen - aber nicht jetzt und wohl auch nicht morgen. Eine zusätzliche Anregung, hoffentlich nicht erst für "übermorgen", ist die Schaffung einer unabhängigen Qualitätssicherungsagentur für universitäre Einrichtungen (so wie sie EU-weit eigentlich vorgeschrieben wäre) "mit Biss". Viele der hier angesprochenen Probleme würden damit gleichsam automatisch einer Lösung zugeführt. Ganz nebenbei (wenngleich politisch kein großes Thema) wäre das EU-rechtlich auch geboten.