Zum Hauptinhalt springen

Die Guten, die Bösen und das Geld

Von WZ-Korrespondent Klaus Stimeder

Politik

Die "Occupy Wall Street"-Bewegung wächst so schnell wie ihre Widersprüche.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 13 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

New York. Das Geld und die Menschen, nirgendwo auf der Welt pflegen sie ein komplizierteres Verhältnis als in der Finanzhauptstadt Amerikas. Und besonders sichtbar wird das, wenn die "Occupy Wall Street"-Bewegung zur Besetzung des New Yorker Börseplatzes aufruft und die Stadt für die Bürger reklamiert.

Der jüngste Protestzug am Mittwoch nahm seinen Ausgang, wie immer, am Zucotti Park. Rund zwei Dutzend in Meditation versunkene Yogis, die am oberen Ende des Parks ihren Platz eingenommen hatten, wollten die Demonstranten mit guten Schwingungen auf die Straße schicken. "Tja, äh, was soll ich dazu sagen. Ich bin aus Philadelphia hierhergekommen und dort haben wir so was nicht. Aber wenn’s was nützt, um den Bossen zu zeigen, dass es so nicht weitergehen kann, von mir aus." Olejuwan Gordon ist 39, Afroamerikaner und Lastwagenfahrer, in letzterer Eigenschaft Mitglied der Teamster-Gewerkschaft, deren Emblem er auf der Brust trägt. Er wirkt ein wenig ratlos angesichts dessen, was sich um ihn herum abspielt. Neben seinem Standplatz verteilen junge (ausnahmslos weiße) Wiedergänger der Hippie-Bewegung Flugblätter, auf denen zum Protest gegen die Politik der US-Zentralbank Fed aufgerufen wird.

Die Leute, die sich seit 17. September in Downtown Manhattan täglich hier versammeln, einen bunten Haufen zu nennen, wäre vermessen; es ist eine wilde Mischung von Leuten aus den unterschiedlichsten Lebenswelten, die de facto nur eines zusammenhält: der Hass auf die Wall Street und alles, was ihrer Meinung nach für sie steht. Den an der New Yorker Börse notierten Unternehmen und den Aktienhändlern wird die Schuld an der Finanzkrise gegeben, an der grassierenden Arbeitslosigkeit, an der Ausbeutung der arbeitenden Massen, am Bösen in der Welt im Allgemeinen wie im Besonderen.

"Wir sind die 99 Prozent!", schallt es aus tausenden Mündern, was sie meinen, ist die ungerechte Verteilung an Vermögen im Land; das eine Prozent Amerikaner, das die Elite stellt, wird von den Republikanern vor jeglicher Unbill in Form von höheren Steuern geschützt. Der Zorn der Masse richtet sich trotzdem kaum gegen die politischen Repräsentanten der Macht, sondern wahlweise gegen "das System", "die Verhältnisse" oder "den Kapitalismus". Präsident Barack Obama bekommt auf den hunderten Spruchbändern und Schildern genauso sein Fett ab ("Yes, we can. But we didn’t") wie seine Kontrahenten im Kongress ("Tea Partiers, drink coffee and eat shit").

Nach Einbruch der Dunkelheit wird sich eine Hundertschaft spontan gen Wall Street aufmachen, die leibhaftige. Rund zwei Dutzend Demonstranten werden beim Versuch verhaftet, in die Börse einzudringen, die Polizei wird sich nur mit Tränengas zu helfen wissen. Jene Demonstranten, die die Nacht nicht im Gefängnis verbringen müssen, nehmen, bevor sie sich schlafen legen, noch ein Nachtmahl zu sich. Nach dem Gang zum Geldautomaten (Bank of America) kaufen sie Cheeseburger (Burger King), die sie mit Coca Cola (Coca Cola) runterspülen. Die Verhältnisse sind kompliziert in Amerika.