Ganz unabhängig von den Launen der Konjunktur wächst die Wirtschaft immer langsamer - mit unangenehmen Folgen.
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Wann immer die Wirtschaftsforscher ihre Wachstumsprognosen für das nächste Jahr um ein paar mickrige Zehntelprozentpunkte korrigieren, sorgt das bei Medien und Politik für gehörige Aufregung. Verständlich irgendwie, schließlich indiziert dieses Wachstum ja unser aller künftigen Wohlstand.
Umso erstaunlicher ist, dass außerhalb der Fachwelt eine ganz andere, wesentlich massivere und dramatischere Entwicklung praktisch kaum öffentlich beachtet wird: und zwar, dass in praktisch allen westlichen Industrienationen das durchschnittliche Wirtschaftswachstum seit Ende des Zweiten Weltkrieges von Jahrzehnt zu Jahrzehnt deutlich zurückgegangen ist. So wuchs etwa das BIP in Deutschland in den 1950ern um durchschnittlich 7 Prozent, in den 1960ern um 4 Prozent, in den 1970ern um 3 Prozent, in den 1980ern um 2 Prozent, in den 1990ern um 1,5 Prozent und zwischen 2000 und 2010 gerade noch um 1 Prozent. Ganz unabhängig von Konjunkturschwankungen scheint das Wachstum nahezu überall seit mehr als 60 Jahren zurückzugehen.
Setzt sich dieser Trend fort, wird das noch unlustig werden. Denn unterhalb eines Wachstums von 2 Prozent steigt erfahrungsgemäß die Arbeitslosigkeit an, mit allen üblen Folgen. "Säkulare Stagnation" nennen die Ökonomen so eine lange Flautephase. Über die Ursache einer so unerquicklichen Entwicklung, unter der zum Beispiel Japan seit mittlerweile 20 Jahren leidet, haben üblicherweise zwei Ökonomen drei einander widersprechende Theorien.
Relativ sicher ist freilich, was diesen massiven, nun schon mehr als ein halbes Jahrhundert anhaltenden Trend in Richtung null Wachstum am ehesten umkehren könnte: revolutionäre Innovationen (wie etwa vor Jahrzehnten der PC) und neue Unternehmen, die aus diesen Innovationen bisher nicht dagewesene Industrien aufbauen.
Blöderweise kann man das Entstehen derartiger Innovationen weder ministeriell verordnen noch durch einen europäischen Zehnjahresplan erzwingen oder durch Subventionen anstoßen. Das klappt alles nicht. Was der Staat freilich beitragen kann, um revolutionäre Innovationen zumindest wahrscheinlicher zu machen, ist ein Klima, in dem sich die Agenten der Innovation so wohl fühlen, dass sie vergnügt am nächsten großen Ding brüten.
Man muss allerdings kein Pessimist sein, um Österreich - wie den Großteil Europas - in dieser Hinsicht noch nicht so ganz zukunftstauglich zu finden, um es einmal freundlich zu formulieren. Die Wahrscheinlichkeit, dass eine Innovation von der Bedeutung des Personal Computers demnächst aus Europa oder gar aus Österreich kommt, ist eher überschaubar. Und damit nimmt auch die Wahrscheinlichkeit, der "säkularen Stagnation" eine wirksame Therapie entgegensetzen zu können, stark ab.
Dass die Politik diesem Phänomen eher seltsam gelassen begegnet, dürfte einen simplen Grund haben: Reiche Staaten können eine derartige "säkulare Stagnation" erstaunlich lange aushalten, ohne dass die Bevölkerung echt sauer wird; Japan und teilweise auch Deutschland belegen das bestens. Wie lange diese Duldsamkeit andauert, weiß freilich niemand. Sich mit der Stagnation achselzuckend abzufinden, ist für die Politik daher keine sehr vernünftige Option.