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Im Nahen Osten sind wieder einmal die Äquilibristen gefragt, aber die Voraussetzungen für die hohe Kunst des Gleichgewichthaltens sind ungleich verteilt.
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Relativ einfach hatte es die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel, die als erste westliche Besucherin nach dem Hamas-Sieg die Region aufsuchte. Sie verweigerte, entgegen den Bitten der Hamas, die Begegnung mit der radikalen Gruppe. Ihr Ansprechpartner war Palästinenser-Präsident Mahmoud Abbas, dessen weitreichende Kompetenzen auch die Außenpolitik umfassen.
Merkel konnte sich auf die rasch gefundene gemeinsame Sprache von USA, UNO, der EU und Russland berufen, die seinerzeit den "Roadmap" genannten Friedensplan entwickelt hatten. Gefordert wird ein Verzicht auf Terror und die Streichung des Ziels, Israel zu vernichten.
Da die Forderungen des Nahost-Quartetts sich genau mit jenen Israels decken, ist vom jüdischen Staat nicht viel Balancegefühl zu erwarten. Er kann auf einem breiten Balken bequem abwarten - bis zu den Wahlen und darüber hinaus. Vergessen ist, dass die Essenz der "Roadmap" schon bisher von Israel mehr als verwässert wurde. Ohne anerkannten Ansprechpartner kann man nun diesen Weg der einseitigen Lösungen fortsetzen, ohne Einsprüche der Friedensplan-Betreiber fürchten zu müssen.
Übermütiges Israel
Längerfristig könnte freilich jegliche Gesprächsverweigerung gegenüber der Hamas auch Israel ins Wanken bringen, das zunächst seine Stärke geradezu übermütig demonstriert - Regierungsvertreter kündigten bereits an, Hamas-Vertreter nicht mit den Ausweisen auszustatten, die ihnen die Reise zwischen Gaza und Westjordanland ermöglichen; dem politischen Hamas-Chef Khaled Mechaal wurde die Verhaftung angedroht, sollte er aus dem Exilland Syrien einreisen; und auch das "gezielte Töten" von Hamas-Aktivisten soll weiter gehen.
Bankrott oder Befreiung
Dazu kommt die wirtschaftliche Drohung: Israel hat die Transferzahlungen, die den Palästinensern aufgrund der Oslo-Verträge zustehen, gestoppt. Zusammen mit den Drohungen des Westens, keine Gelder mehr fließen zu lassen, droht der Hamas-Regierung ein ökonomischer Bankrott. Ohne Hilfe könnte sie ihre ehrgeizigen Pläne zur Verbesserung der sozialen Situation nicht verwirklichen.
Will die Hamas also dieses Wahlversprechen halten, muss sie sich bei ihrem Drahtseilakt der Friedenspolitik zuneigen. Am anderen Ende der Balancierstange zieht aber schwer eine andere Hamas-Verheißung: Die "Befreiung" Palästinas. Folgerichtig lehnt die Hamas-Führung vorerst jeden Kompromiss ab, könnte sie doch den eigenen Anhängern nur schwer einen so plötzlichen Schwenk plausibel machen.
In einer noch misslicheren Lage befindet sich höchstens noch die Fatah nach ihrem Sturz. Der vor der Wahl noch mühsam gekittete Konflikt zwischen "alter" und "junger Garde" bricht wieder voll auf. Die Rufe nach Rücktritt der Führung werden lauter - letztlich könnte auch Präsident Abbas davon getroffen werden, der einzige Ansprechpartner, der dem Westen geblieben ist.
Dazu kommt die Angst der Fatah-Anhänger, vor allem in den Sicherheitskräften, um ihre Posten. Erste Gewaltausbrüche lassen eine Phase innerpalästinensischer Konflikte befürchten. Kein Wunder, dass EU-Kommissarin Benita Ferrero-Waldner einmal für Abwarten plädiert.