Der jahrelange US-Unterhändler im Nahen Osten, Aaron David Miller, sieht keine Bereitschaft der jetzigen politischen Elite, den Nahostkonflikt | zu lösen. In der jetzigen Eskalation mit der Hamas fehle der internationale Druck.
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"Wiener Zeitung": Seit Tagen wird angesichts der neuesten Eskalation der Gewalt zwischen der Hamas und Israel im Gazastreifen um einen Waffenstillstand gerungen. Auch wenn international dazu aufgerufen wird, so ist er doch nur ein erster Schritt und keine Lösung des Hamas-Israel-Problems?
Aaron David Miller: Wir haben zwei Beispiele von früher, aus den Jahren 2008/09 und 2012, als ähnliche Konfrontationen stattfanden. Die erste forderte, was Tote und Verwundete auf palästinensischer Seite angeht, viel mehr Opfer. Sie richtete auch mehr Schaden an, fast zwei Milliarden US-Dollar. Keine von beiden hat zu einer Lösung geführt. Es wird natürlich auch ein Resultat dieser Konfrontation geben, aber die Frage ist, ob man Ruhe der Ruhe wegen bekommt, oder Stabilität um der Stabilität willen. Das hängt natürlich davon ab, was die Ansprüche der Israelis und der Palästinenser sind. Die Hamas wird nichts Geringeres verlangen als eine signifikante und konsequente wirtschaftliche Öffnung von Gaza sowie die Öffnung des Grenzübergangs Rafah, was eine ägyptische Angelegenheit ist. Aber auch mehr Vorhersehbarkeit und Regelung von Im- und Exporten über die Grenze von Israel. Zudem wollen sie 43.000 Gehälter ihrer eigenen Beamten bezahlt haben - das könnten vielleicht die Kataris übernehmen - und die Freilassung von ungefähr 56 Gefangenen, die die Israelis kürzlich im Westjordanland verhaftet haben.
Und die Israelis?
Ihnen - sollten sie überhaupt zu Zugeständnissen bereit sein, denn dies würde die Position der Hamas in Gaza stärken - geht es wohl um die Frage, ob die Hamas zu Restriktionen in Bezug auf ihre eigenen Steilfeuerwaffen bereit ist. Ich glaube nicht, dass die Israelis ein Interesse daran haben, Hamas als Organisation zu zerstören. Die Hamas ist aber eine Widerstandsorganisation, und das ist Teil ihrer Ideologie. Es wäre eine schwere Niederlage für sie, solche Restriktionen zu akzeptieren und für sie schon gar nicht möglich, ihre Raketenkapazitäten und -depots aufzugeben.
Wie geht der Konflikt weiter?
Erst mal - da keiner den anderen zerstören kann, versuchen beide den Umfang dessen, was sie voneinander bekommen können, zu maximieren. Sie machen so aus einer sinnlosen Beziehung eine, die doch ziemlich zielgerichtet und funktionell ist. Je länger die jetzige Krise aber andauert und je massiver eine Bodenoffensive ist, desto mehr zweifle ich nun, auch wenn ich anfangs eine kleine Chance sah, daran, dass es eine Lösung in Richtung langfristiger Stabilität gibt.
Gibt es genug internationalen Druck für einen Waffenstillstand?
Nein, und momentan gibt es sehr wenig Dringlichkeit dafür - für keine der beiden Seiten. Die Israelis schützen ihre Heimfront, und die Hamas ist meiner Meinung nach dazu bereit, weiter Raketen abzufeuern, bis sie bekommt, was sie braucht.
Und wir haben nicht wirklich einen Mediator in Sicht.
Nun, wir haben die Ägypter etwa oder den Chef des israelischen Geheimdienstes Shin Bet. Man braucht aber nicht nur einen Mediator, sondern auch den richtigen Deal. Gibt es eine Balance von Interessen, die es beiden erlaubt, als Sieger aus der jetzigen Konfrontation auszusteigen? Im jetzigen Moment zweifle ich daran.
Ändert sich angesichts der Turbulenzen im Nahen Osten - die arabischen Staaten sind durch Revolutionen geschwächt, Sunniten und Schiiten bekämpfen einander und die Muslimbrüder sind in die Ecke gedrängt - die Politik Israels?
Je mehr Unsicherheit es gibt - Syrien und der Irak etwa lösen sich ja gerade auf - desto mehr werden die Israelis auf Jordanien angewiesen sein, Ägypten und zu einem gewissen Grad wird es implizit gleiche Interessen mit den Saudis geben. Israels Blick auf das alles ist aber, meiner Meinung nach, nicht der einer Chance, sondern dass die Entwicklungen ein Risiko darstellen. Und dabei will ich hier auch noch gar nicht die Frage erwähnen, ob am Sonntag in Wien eine Verlängerung der Atomgespräche mit dem Iran gelingt, was Israels Hauptsorge ist. Auch ich glaube nicht, das irgendetwas von dem, was jetzt passiert, uns neue Chancen bringt. Wir haben gerade zehnmonatige Anstrengungen von US-Außenminister John Kerry beobachtet, der hunderte Stunden mit beiden politischen Führern und ihren Verhandlungsteams verbracht hat. Und was kam heraus? Etwas, was nicht annähernd benötigt würde, um das israelisch-palästinensische Problem zu lösen. In Wirklichkeit kam man nicht einmal in die Nähe einer Lösung. Also nein, die Israelis werden sehr zurückhaltend bleiben.
. . . und den jetzigen Status quo beibehalten?
Die Israelis sind bereit, mit einem gewissen Grad an Spannungen und Eskalation zu leben. Das Grundsatzproblem ist aber: So nicht ideal dieser Grad auch sein mag, Abbas (Mahmoud, Palästinenserpräsident, Anm.) und Netanyahu (Benjamin, israelischer Premier) sehen das Risiko, ihn zu ändern, als viel schädlicher für ihre jeweiligen politischen Positionen an, als ihn aufrechtzuerhalten. Konzessionen zu machen bei der Grenzsicherheit Jerusalems, Flüchtlingen oder Israel als den Nationalstaat der Juden anzuerkennen, erfordert unglaubliches Risiko. Politisches, wie existenzielles - es sei nur daran erinnert, dass Anwar as-Sadat (ehemaliger ägyptischer Präsident, Anm.) ermordet wurde für seine Friedensinitiative, genauso wie Jitzchak Rabin (israelischer Ex-Premier).
Sie sehen also nicht, dass die jetzige Führung dazu bereit wäre?
Nein, tue ich nicht. Man braucht Führer mit einer Art heroischem Charakter, nein, eigentlich braucht man Führer, die Meister ihrer politischen Wählerschaft sind. Die die Bedürfnisse der anderen verstehen und anerkennen und die dazu bereit sind, mehr als nur die Gegenwart und die politischen Hemmnisse auszusöhnen. Das ist das Problem.
Aaron David Miller, geboren 1949 in Ohio, ist Experte für den Mittleren Osten und Vizepräsident des Woodrow Wilson International Center for Scholars in Washington, DC. Der Historiker war jahrelang als Nahost-Unterhändler für die US-Regierung tätig und veröffentlichte zahlreiche Studien und Bücher zur Region.