Durch Hilfsentzug droht Rückkehr der militanten Kräfte. | Israels Schutzwall hat wenig genutzt. Der Selbstmordattentäter, der am Montag neuen Menschen in Tel Aviv mit in den Tod riss, kam aus dem nördlichen Westjordanland, wo die Sperre am längsten steht. Dass die palästinensische Hamas-Regierung den Mordanschlag als Selbstverteidigung rechtfertigte, hat international Empörung ausgelöst.
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Manche denken allerdings bereits darüber nach, ob an einer derartigen Reaktion nicht die Haltung des Westens Mitschuld trägt. Die anfangs noch Kompromissbereitschaft andeutenden Stellungnahmen der Hamas haben sich jedenfalls wieder radikalisiert, seit die EU und die USA die Finanzhilfen für die Autonomiebehörden eingestellt haben.
Zwar versuchen einige Staaten, die Hamas zu umgehen und die Bevölkerung direkt zu unterstützen, dies reiche aber nicht, um eine humanitäre Krise in den Palästinensergebieten zu vermeiden, meint ein dieser Tage vorgestellter UNO-Bericht. Ohne das Geld aus dem Westen und die von Israel vorenthaltenen Steuereinnahmen könnten 75 Prozent der Bevölkerung unter die Armutsgrenze rutschen.
Schulen und Gesundheitsdienste müssten große Einschnitte hinnehmen. Daneben drohen aber auch politische Folgen, warnt der Bericht: Der Regierung könnte die Kontrolle über die rund 70.000 Sicherheitskräfte entgleiten, womit neue Gewalttaten drohen würden.
Dieser ohnehin schon aufgeblähte Sicherheitsapparat wurde laut einem Hamas-Vertreter durch Neueinstellungen nach der Wahl noch weiter ausgebaut. Die unterlegene Fatah wollte noch schnell ihre Anhänger versorgen, was das Problem weiter verschärft. Angesichts der Fatah-Dominanz wurde vom Innenminister die Bildung eines Sicherheitsdienstes aus Mitgliedern militanter Gruppen angekündigt und ein Extremist mit dessen Führung betraut - ein Affront gegenüber Präsident Mahmoud Abbas, der prompt sein Veto gegen die Ernennung einlegte.
Wegen der Gefahr der Radikalisierung beginnt die europäische Front, die von der Hamas im Gegenzug für Geld die Anerkennung Israels und ein Abschwören der Gewalt fordert, zu bröckeln.
Frankreichs Präsident Jacques Chirac forderte bei einem Ägypten-Besuch die Wiederaufnahme der Hilfszahlungen. Allerdings will er, wenn er nächste Woche in Paris mit Abbas zusammentrifft, auch nur über Alternativen zu Regierungskanälen nachdenken. Abbas forderte am Freitag EU und USA auf, die Hilfsgelder direkt an sein Büro zu überweisen.
Ein wenig weiter geht der Vorsitzende der Sozialdemokraten im Europaparlament, Martin Schulz: Man müsse prüfen, ob man Mittel der Infrastruktur an strenge Auflagen und Kontrollen koppeln könne. Italiens künftiger Ministerpräsident Romano Prodi soll inzwischen schon mit dem palästinensischen Premier Ismail Haniyeh telefoniert haben.
Direkter Kontakt mit Hamas-Spitzenvertretern soll in Europa dennoch verhindert werden: Frankreich verhängte am Freitag ein Einreiseverbot für den Planungsminister, der zu einer Diskussion anreisen wollte.
Israel hält sich zurück
Auch Israel gibt sich vorläufig auffallend zurückhaltend: Obwohl in der Armee Offensiven im Gaza-Streifen diskutiert werden, sind nach dem Attentat von Tel Aviv und Raketenangriffen auf Israel große Vergeltungsschläge zunächst ausgeblieben. Möglicherweise hat man die Worte von Israels Ex-Botschafter in Deutschland, Avi Primor, im Ohr, der aus pragmatischen Gründen für Verhandlungen mit der Hamas plädiert: "Wir sagen immer nach einem Anschlag, wir werden zurückschlagen, die Terroristen zerschmettern. Aber das sagen wir schon fast sechzig Jahre lang und wissen, dass es nichts nutzt."