Italiens Premier durchleuchtet. | Wie die Hebel der Macht funktionieren. | Dass Politiker professionelle Lügner sind, gilt gemeinhin als gesichert. Bei kaum einem anderen scheint die Diskrepanz zwischen Rede und Realität jedoch so offen zu Tage zu treten wie bei Silvio Berlusconi. Trotzdem (oder gerade deswegen?) schaffte es Italiens Premier, einer der beliebtesten italienischen Politiker aller Zeiten zu werden. 1993, am Anfang seiner staatsmännischen Karriere, war er sogar der "Liebling Nr. 1" im Land - vor Arnold Schwarzenegger und Jesus Christus.
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Dass es dem Charismatiker immer wieder gelingt im vollen Brustton der Überzeugung ganz offensichtliche Un- oder Halbwahrheiten erfolgreich an den Mann zu bringen - und vor allem warum er das tut - beschreibt Alexander Stille in seinem Buch "Citizen Berlusconi".
Angelehnt an den Film "Citizen Kane" über das Leben eines Medien-Tycoons zeichnet der amerikanische Journalist den Aufstieg Berlusconis. Die Biographie würde auch ohne weiteres als fesselnder Polit-Thriller durchgehen und zeigt eine neue Generation Macht, die aus der Fusion von Unterhaltung, Sport, Fernsehen und Politik entsteht.
Man stelle sich vor, Richard Lugner sei auch der Eigentümer von Premiere und ATV+, würde Bundeskanzler und übernähme dann auch noch das Kommando über den ORF, ihm gehörten darüber hinaus "Die Presse", der SC Rapid, die Uniqa-Versicherung, eine Investmentfirma und eine Kinokette - das vermittelt eine Ahnung davon, was für einen langen Schatten Silvio Berlusconi über Italien wirft.
"Man stelle sich schließlich auch noch vor, dass Dutzende von Parlamentariern und die meisten hohen Funktionsträger des Staates frühere oder aktu elle Angestellte des Medienmoguls und Premierministers sind und dass dieser mehrmals angeklagt und strafrechtlich verurteilt worden ist, nach Gesetzen, die seine Anwälte, die zugleich als Abgeordnete im Parlament sitzen, abzuschaffen versuchen oder bereits abgeschafft haben."
Stille analysiert wie Berlusconi nach dem Kalten Krieg die Zeichen der Zeit richtig zu deuten wusste. In Italien hatten die traditionellen Parteien ihre Inhalte verloren - nicht mehr Ideologien zählten, sondern Persönlichkeit, Prominenz, Geld und Medienmacht. Berlusconi nutzte dieses politische Vakuum und begann mit seinem privaten Fernsehsender - dem ersten Italiens - eine der innovativsten Werbekampagnen unserer Zeit.
Hintergründige Analyse
Der Weg zur politischen Macht führt heute über die Medien. Das Buch geht über diese altbekannte Weisheit hinaus und gewährt dem Leser einen politischen Blick hinter die Kulissen in Rom und in die Seele der Italiener. "Citizen Berlusconi" ist eine minutiös recherchierte Analyse des mächtigsten Mannes Italiens. Sie zeigt seine Verstrickungen mit der Mafia auf, vergisst dabei aber nicht, seinen Innovationsgeist und das zu würdigen, worauf Berlusconi selbst stolz ist: "Ich kann Menschen dazu bringen, mich zu lieben." Vor allem im Ausblick auf die baldigen Wahlen in Italien ist das Buch über einen der umstrittensten Politiker Europas ein Muss.
Citizen Berlusconi
C.H. Beck, 383 Seiten
24,90 EUR
Unbedingt lesen!