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Die Häuser den Menschen

Von Matthias Winterer

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In Graz gewinnen die Kommunisten die Gemeinderatswahl. In Barcelona erzwingt die Stadtregierung die Vermietung von Anlagewohnungen. In Berlin wird die Enteignung großer Wohnungskonzerne diskutiert. Kommunismus, staatlicher Eingriff, Enteignung. Einstige Tabuthemen finden plötzlich wieder Mehrheiten. Der Bürger begehrt auf. Seine Forderungen werden radikaler. Sie sind eine Antwort auf eine radikale Politik, die den Immobilienmarkt Investoren überlässt, während erschwinglicher Wohnraum schrumpft. Doch mit den Mieten wächst auch der Widerstand. Nun entlädt er sich. In Berlin, in Barcelona, in Graz.

In Wien wird Enteignung höchstens in besetzten Häusern diskutiert. In Wien ist es ruhig. Noch. Denn auch der Wiener Immobilienmarkt radikalisiert sich. Zwar drücken die vielen Gemeinde- und geförderten Wohnbauten die Durchschnittsmiete. Doch am freien Markt sind Wohnungen für viele zu teuer. Die Wiener sehen die Misere täglich. In der ganzen Stadt wird gebaut. Kräne ziehen Wohntürme in den Himmel. Wiesen, Äcker, Brachen verwandeln sich in Entwicklungsgebiete. Im Kern wird verdichtet. Trotzdem geht ein immer größerer Teil ihres Einkommens für Miete drauf. Im privaten Segment sind laut Mietmonitor der TU Wien die Mieten von 2008 bis 2016 um satte 53 Prozent gestiegen. Denn gebaut wird nicht für die Bevölkerung. Zwei Drittel der Neubauten sind frei finanziert. Mieten von 18 Euro pro Quadratmeter keine Seltenheit. Und selbst das eine geförderte Drittel ist für viele Menschen keine Option. Genossenschaftsbeiträge stellen eine riesige Hürde dar. Der Zugang zum Gemeindebau ist wesentlich niederschwelliger. Nur Gemeindebauten werden kaum noch gebaut.

Wohnen darf nicht Ware sein. Ist es nicht. Wohnen ist ein Finanzprodukt. Internationale Investmentfirmen haben Wien spätesten seit der Finanzkrise 2008 entdeckt. Sie verkaufen Eigentumswohnungen im Paket. Sie legen in Betongold an. Sie bauen Luxushäuser als Anlageprodukt. Die Stadt widmet dafür bereitwillig Flächen um. Die Entwicklung hat Sprengkraft. Mit dem Kontostand des Bürgers nimmt auch die Scheu vor linken Ideen ab - vor Zwangsvermietung, vor Verstaatlichung, vor Enteignung. Und das ist gut so. Sicher, das Recht auf Eigentum ist ein Grundrecht. Dient es der Allgemeinheit, kann es laut Gesetzbuch aber entzogen werden. Spekulatives Eigentum auf dem Immobilienmarkt schadet der Allgemeinheit. Es macht wenige reich - und viele ärmer. Ein Markt, auf dem riesige Penthäuser leer stehen, während Familien keine Wohnung finden, ist kaputt. Die Diskussion, wie wir dieser Diskrepanz begegnen, muss erlaubt sein.