Auf dem Gelände in Neu Marx prallen die Zwischennutzungswelten aufeinander.
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Wien. Es gibt Entwürfe, die in der Schublade verschwinden. Andere, die realisiert werden. Und dann gibt es jene Entwürfe, bei denen man einen Schritt weiter gehen muss, um sie ernsthaft zu verwirklichen. Sie müssen gelebt werden. So wie Marthas Entwurf. Er steht unter einer Brücke auf dem vom Regen aufgeweichten Boden hinter einer Parkgarage unter der Autobahnausfahrt der Südosttangente. Da parkt Marthas Lkw. Er gehört zur "Wagentruppe Treibstoff."
<p>Für die einen ist das Leben im Wohnwagen ein verwahrlostes Nomadendasein. Für die anderen ist es die ultimative Freiheit. Es bedeutet, mobil zu sein und sein Hab und Gut immer in Reichweite zu haben. Es ist ein Leben ohne Ballast und ohne die Annehmlichkeiten, an die sich der verhätschelte Großstadtprimat nun einmal gewöhnt hat. Alles wird zu einer Frage der Kreativität, egal ob es sich um das Heizen, Duschen oder eine innovative Raumaufteilung handelt. Wer im Wohnwagen lebt, muss erfinderisch sein. Das gefällt Martha. Seit vier Jahren lebt die Kunststudentin, die in ihren Namen nicht in der Zeitung lesen will, nun in ihrem Lkw. Auf 15 Quadratmeter hat sich die 28- Jährige eingerichtet. Wenn sie auf die Toilette muss, benützt sie das "Turmklo", ein verholztes Plumpsklo im Raketendesign. Wenn sie duschen will, benutzt sie den "Badezimmer"-Lkw, inklusive Badewanne, und wenn sie einmal Lust hat auf ein bisschen Wellness, schwitzt sie im dafür vorgesehenen Sauna-Wagen.<p>"Es ist die Lebensform, die meinen Ansprüchen am nächsten kommt. Ich brauche nicht viel Raum. Ich will ein Bett und ich will es warm haben", sagt Martha, "und mit einem Wagen bin ich mobiler und es gibt viel mehr Möglichkeiten politisch aktiv zu sein."
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Die einen bereichern das Areal, die anderen mieten bloß
<p>Der politische Aktivismus. Er ist ihr größtes Image-Problem. Das weiß Martha. "Autonomes Leben ist nicht willkommen in der Stadt, und schon gar nicht, wenn man Druck macht, besetzen geht oder mit den Wägen den Ring blockiert hat", erklärt Martha. Während andere Wagenplätze in Wien sich auf Kunstinitiativen oder ein stilles mobiles Schrebergartendasein konzentrieren, bekennt sich die "Wagentruppe Treibstoff" offen zu einer "linken Kultur." Das Leben im Wohnwagen gilt für sie auch als politisches Statement. Es ist die Demonstration einer anderen Lebensform, vor allem in Zeiten, in denen Raum in der Stadt immer knapper und teurer wird.<p>Seit einem Jahr steht die Wagentruppe auf einem Grundstück in der Maria-Jacobi-Gasse im 3. Bezirk, im Schatten des Media Quarter Neu Marx, dem ehemalige Schlachthofgelände. Rund 1500 Quadratmeter hat ihnen die Eigentümerin des Areals, die WSE, die Wiener Standortentwicklung GmbH, ein Tochterunternehmen der Wien Holding, dort bis nächsten Sommer zur Verfügung gestellt.<p>Derzeit leben fünf Menschen auf dem Gelände. 500 Euro Miete zahlen sie für das Grundstück. Um Strom und Wasser müssen sie sich selbst kümmern. "Das ist ein erkämpfter Platz. Den hat uns keiner geschenkt", sagt Martha. Sie lacht. Mehr als 30 Mal ist sie in den vergangenen vier Jahren mit ihren Wägen umgezogen, musste immer wieder bei Magistratsbeamten und Privateigentümern anklopfen um für einige Monate den Lkw an einem Standort parken zu dürfen. Ihre Nachbarn hatten es da wesentlich leichter.<p>Seit Oktober stehen ein paar hundert Meter vom Wagenplatz entfernt die Container des Stadtlabors der Technischen Universität (TU). Hier dürfen sich angehende Architekten und Raumplaner auf 150 Quadratmeter auf der Betonfläche bei der Karl-Farkas-Gasse für die nächsten zwei Jahre austoben. Bejubelt wurde das Projekt, würden doch die Studenten das Areal beleben und die Fläche neben den Urban Gardening Beeten, dem Skaterpark und den Foodtrucks um eine Facette bereichern. Zahlen muss die TU für die Nutzung des Geländes nichts. Auch um die Nebenkosten muss sie sich keine Sorgen machen. Um Wasser und Strom kümmert sich die WSE.<p>"Es ist eine Win-win-Situation", sagt Mario Scalet, Sprecher der WSE. "Die TU beschäftigt sich mit Stadtplanung und das hat auch für uns einen Gegenwert. Außerdem nutzen wir auch ihre Räumlichkeiten für unsere Planungsprozesse. Und wir hoffen, dass wir Input von Studentenseite bekommen. Das ist ein vollkommen anderer Hintergrund, als eine Wohnfläche zu vermieten", erklärt Scalet die unterschiedlichen Parameter auf dem Gelände.<p>Rund 80.000 Quadratmeter besitzt die WSE auf dem Areal. Das Kernstück ist die 40.000 Quadratmetergroße Betonfläche bei der Karl-Farkas-Gasse unmittelbar bei der ehemaligen Rinderhalle. Ursprünglich war die Fläche für den ORF reserviert gewesen. Nachdem man sich am Küniglberg gegen den neuen Standort entschieden hat, wurden die ersten Planungsprozesse für das Stadtentwicklungsgebiet eingeleitet. Begleitet wurde der Prozess vom Planungsbüro Raumposition unter der Ägide des TU-Dekans Rudolf Scheuvens. Derzeit ist man in der zweiten Planungsphase. Ziel ist es einen Mix aus Wohnungen, Büros und Freizeitangeboten zu schaffen. Die ersten Ergebnisse sollen dann im ersten Quartal 2017 vorgestellt werden und im Jahr darauf soll der erste Spatenstich für die Umsetzung folgen. Bis dahin dürfen TU und Co. die Fläche nutzen.<p>
Ein Zwischennutzungs-Hub wie aus dem Lehrbuch
<p>So auch Theresa Amesberger. Die 23-jährige Architekturstudentin gehört zum "Design Build" Team der Technischen Universität. Seit 16 Jahren wird das Seminar an der TU angeboten. Das Ziel: learning by doing. Die Studenten sollen die Möglichkeit haben, ihre Entwürfe realisieren zu können, 1:1, so wie sie es sich in ihren Skizzen vorgestellt haben. Von Anfang bis zum Ende. Das kann ein Gemeinschaftshaus für ein Waisenheim im indonesischen Sumatra sein, ein Kindergarten in Johannesburg, ein Jugendzentrum am Gürtel oder ein mobiles Stadtlabor in Neu Marx. Jedes Jahr bewerben sich bis zu 50 Studenten für das Seminar, nur die Hälfte wird genommen.<p>Es gilt auf der TU als aufwendiges Seminar, in dem man für seine ECTS-Punkte arbeiten muss. Auch körperlich. Bis zu 70 Stunden pro Woche hat Amesberger an diversen Projekten in Neu Marx gewerkt. "Als werdende Architekten müssen wir uns mit mehr beschäftigen als nur mit dem Wohnbau, und wir sollen wissen, dass das Leben nicht bei der Wohnungstür aufhört, sondern weitergeht", sagt sie. Stolz zeigt sie die neue Gemeinschaftsküche am Areal, in das sie die Mauer am Geländerand in ihre Entwürfe so integriert haben, dass sie nun als meterlange Tischtafel dient. "Es ist unser Baby. Man hängt einfach daran", sagt Amesberger und streicht über die Arbeitsfläche der Küche. Gleich daneben befinden sich eine offen zugängliche Fahrradwerkstatt und die Container des mobilen Stadtlabors, in dem Veranstaltungen, Workshops - unter anderem für Flüchtlinge - und Diskussionen stattfinden. Auch das Büro der Kreativen Räume, der Zwischennutzungsagentur der Stadt Wien, hat in einem der Container ihr Büro.<p>Damit ist die Betonfläche ein Zwischennutzungs-Hub wie aus dem Lehrbuch. Studenten, urbane Gärtner, Skater, Architekten und ein bisschen Charity. Für die Ästhetik der Wagenplätze hat man hier keine Verwendung. Ab und zu kamen die Bewohner vorbei, wollten wissen, ob sie ihre Wägen hier abstellen dürfen gleich neben den Containern der Studenten. Das durften sie nicht. Solche Dinge müssen mit dem Dekan abgesprochen werden. Aber sie seien jederzeit willkommen, wollen die Studenten klarstellen. Sie selbst waren noch nie auf dem Wagenplatz nebenan. So richtig geheuer scheinen ihnen die Nachbarn nicht zu sein.<p>Dabei unterscheiden sich ihre Welten gar nicht so sehr voneinander. Zumindest inhaltlich. Beide beschäftigen sich mit der Frage des öffentlichen Raumes, wie er unkommerziell und kreativ für alle zugänglich gemacht werden kann. Die einen tun es im Rahmen des Systems, die anderen eher am Rande, oder gar von außen.<p>
"Wer keine Lobby hat, kann scheißen gehen"
<p>Martha wird nicht müde zu betonen, dass auch die Wagentruppe für die Öffentlichkeit zugänglich ist, dass man auch hier Veranstaltungen macht, Konzerte gibt, Filme zeigt, diskutiert - kurz: einen Mehrwert erzeugt, der über das Wohnen hinaus geht. "Wir wollen die gleichen Bedingungen wie die anderen Zwischennutzer auf dem Areal. Wir wollen auch zumindest Prekariatsverträge. Schließlich zahlen die alle nichts", sagt sie. Sie schüttelt den Kopf. "Diese Stadt gehört nicht nur den Investoren und den Leuten mit viel Kapital. Wenn du keine Institution und keine Lobby hinter dir stehen hast, kannst du scheißen gehen. Das wird schmerzlich deutlich, wenn man sich umschaut."<p>Am liebsten würde Martha mit ihrem Wagen wieder in der Krieau im 2. Bezirk stehen. Dort in der Natur hat es ihr gefallen. Doch der Vertrag für die Wagentruppe ist vor einem Jahr ausgelaufen und die Karawane musste weiterziehen.<p>Nun haben sich dort neue Mieter eingefunden. Seit September will die Leerstandsagentur Nest das Areal mit neuen Ideen bespielen. Ein "kreatives Dorf" ist dort geplant, mit Künstlern und Handwerkern in ihren Ateliers, Werkstätten und Pop-up-Stores. Auch sie sind nur Zwischennutzer. Bis Herbst 2018 darf sich die Kreativwirtschaft auf dem Gelände austoben. Und ihre Entwürfe aus der Schublade holen. Für Marthas Entwurf ist dort aber kein Platz mehr.