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Die heile Welt der Großen Koalition

Von WZ-Korrespondent Marcus Kaufmann

Europaarchiv

SPD triumphiert in Rheinland-Pfalz. | CDU punktet in Baden-Württemberg. | Berlin. Die SPD hat in Rheinland-Pfalz triumphiert, in Baden-Württemberg ein Desaster erlebt, in Sachsen-Anhalt stagniert. Spiegelverkehrt die CDU: Stillstand im Osten, peinliche Niederlage am Rhein, glänzender Sieg im Ländle. Symmetrie auch bei der Opposition: Die Linke kommt im Westen nicht rein und die Grünen nicht im Osten. Nur für die Rechtsextremen ist weder hüben noch drüben Platz.


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Tragische Gewinner sind einzig die Liberalen. Schon bei der Bundestagswahl hatte ihr mit Abstand bestes Ergebnis nicht gereicht, sie an der Regierung zu beteiligen. "Stimmen gewonnen - Wahl verloren". Dies hat sich nun zumindest in Mainz und Stuttgart wiederholt. In Magdeburg wurden sie halbiert, allerdings stand von vornherein fest, dass sie ihr Traumergebnis von 2002 nicht mehr erreichen würden.

Die Wahlanalysen werden erst in den nächsten Wochen im Detail vorliegen; schon jetzt erkennbar ist, dass Kurt Beck (Rheinland -Pfalz, SPD) und Wolfgang Böhmer (Sachsen-Anhalt, CDU) wegen ihrer Persönlichkeit gewählt wurden, Günther Oettinger (Baden-Württemberg, CDU) wegen seiner Partei. Die uralte These, dass Große Koalitionen die politischen Ränder automatisch begünstigten, hat sich am Sonntag nicht bestätigt. Peinlich niedrig war allerdings die Wahlbeteiligung. Vor allem in Sachsen-Anhalt, wo die Bürger erst seit 1990 wieder frei wählen dürfen, stellte sich eine historische Wahlmüdigkeit ein - kaum mehr als einer von drei Wahlberechtigten hat seine demokratischen Rechte wahrgenommen.

Entspannte Spannung

Obgleich sich die Wähler eindeutig von landespolitischen Erwägungen leiten ließen, ist der wahre Nutznießer die Bundesregierung. Für die SPD ist die absolute Mehrheit in der ehemaligen CDU-Hochburg Pfalz (prominentester Pfälzer ist Helmut Kohl) die erste gewonnene Landtagswahl seit Jahren - und trägt somit zu einer erheblichen Entspannung im Willy-Brandt-Haus bei. Die Parteilinke, die unter Wasser alles versuchte, um die Große Koalition zu torpedieren, hatte die Stimmungsschere zugunsten des verhassten Partners CDU bereits zum Kampfargument genutzt. Becks Triumph bringt sie nun zum Schweigen. Wo die SPD ein entsprechendes personelles Angebot macht, hat sie durchaus Siegeschancen. Die CDU sieht sich allenthalben bestätigt und bekennt sich wortstark zu Angela Merkel. Das wiederum stärkt der Kanzlerin den Rücken, was ihr in den schwierigen Zeiten zugute kommt, die nun bevorstehen. Hatten die Berliner Koalitionspartner in den drei Wahlkämpfen einander erkennbar geschont, so ist diese Zeit nun vorbei. Erst in einem halben Jahr gibt es wieder Wahlen, bis dahin müssen drei große Vorhaben der Bundesregierung über die Bühne gehen: Die Finalisierung der Föderalismusreform, das Budget für 2007 und die Gesundheitsreform. Außerdem soll noch im Frühjahr ein Energiegipfel über den weiteren Kurs bei der Kernkraft entscheiden, im Herbst will man Teil 2 der Föderalismusreform angehen, nämlich den Finanzausgleich zwischen Bund und Ländern, und die absolut unpopuläre Erhöhung der Mehrwertsteuer durchdrücken. Nicht zuletzt wartet die Bevölkerung dringend auf eine Trendwende am Arbeitsmarkt; bislang hat die Konjunkturerholung noch nicht auf die Jobs durchgeschlagen.

Jedes dieser Themen birgt einigen koalitionären Sprengstoff: In der Gesundheitsreform stehen die Ansichten von CDU und SPD diametral gegeneinander, beim Atomausstieg ist man sich auch nicht einig, und wenn's ums Geld geht, wie beim Finanzausgleich, sind erhebliche Klüfte zwischen reichen und armen Ländern zu überbrücken.

Doch die Opposition hat es auch nicht leichter: Die FDP hat ihre Sperrminorität im Bundesrat verloren, also kann sie nicht, wie versprochen, die Steuererhöhungen verhindern. Die Bündnis-Grünen sind in vier Landtagen nicht vertreten und an keiner einzigen Regierung beteiligt. Die Linkspartei ist zwar im Osten stark, wo sie die kommunistische SED beerbt hat, aber der große Durchbruch mit der WASG Lafontaines ist nicht gelungen. Nicht einmal zusammengerechnet könnten die drei Oppositionsfraktionen eine Verfassungsänderung aufhalten. Der Versprecher Angela Merkels im Bundestagswahlkampf, sie wolle gern "durchregieren", ist - zwar anders als geplant - wahr geworden. Die Koalition kann sich also nur selbst ein Bein stellen.

Alte Lager bröckeln

Für die Zukunft der Parteienlandschaft ist der gestrige Wahlsonntag möglicherweise eine Weichenstellung. Die CDU muss sich stärker als bisher auf die neuen Länder konzentrieren, sonst unterliegt sie einem schleichenden Erosionsprozess, der bisher nur durch konjunkturelle Ergebnisse überdeckt wurde. Die SPD muss ihr personelles Reservoir dringend auffüllen, weil sie nur mit "gewachsenen" Figuren vor Zufallstrends gefeit ist. Der FDP nimmt man es nicht mehr so übel wie früher, dass sie wechselnde Koalitionen eingeht und sich nicht ausschließlich an eine Partei bindet. Tatsächlich scheint sie sich als bundesweite dritte Kraft zu etablieren, nachdem sie anfangs in den neuen Ländern bedeutungslos blieb. Die Grünen wären gut beraten, ihre Mauern gegen die Union wenigstens durchlässiger zu machen. Allerdings muss man einräumen, dass es "die Grünen" nicht gibt, weil es kaum größere Unterschiede gibt als beispielsweise zwischen den schwäbischen und den Berliner Grünen. Rot-Grün scheint ebenso ein Auslaufmodell zu sein wie Schwarz-Gelb, zumindest in der bisherigen Ausschließlichkeit.