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Die Heimholung des Rock’n’Rolls

Von Isolde Charim

Gastkommentare

Andreas Gabalier und das Brauchtum mit modernem Antlitz.


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Was ist ein Kolumnistentraum? Ein kluger Ausgangstext - dem man trotzdem widersprechen muss. Ein solcher ist etwa der letzte Kommentar des "Falter"-Chefredakteurs Florian Klenk.

Klenk schreibt, die österreichische Gesellschaft spalte sich in die beiden gegensätzlichen Pole Conchita Wurst und Andreas Gabalier. Dabei würde Offenheit gegen Geschlossenheit, Fortschritt gegen Ressentiment, Stadt gegen Land stehen. Dass Gabalier sich nun, wo sie erfolgreich ist, zum Gegenspieler von Conchita Wurst aufwirft, ist eine kluge Analyse. Aber bei der Frage, wofür Gabalier in diesem Gegensatz steht, möchte ich einhaken.

Ulrich Beck, der renommierte deutsche Soziologe, hat darauf hingewiesen, dass diese Logik des "entweder-oder" einer anderen Zeit angehört (einer Zeit, die er die "erste Moderne" nannte). Heute, in der "zweiten Moderne", ist nicht mehr diese Ausschlusslogik vorherrschend, sondern vielmehr die Verbindung von Gegensätzen - das "und".

An dem "Volks-Rock’n’Roller" Gabalier lässt sich dieser Paradigmenwechsel gut ablesen: Da geht es eben nicht einfach um Tradition gegen Moderne, Stadt gegen Land, Rock gegen Heimatmusik. Er begnügt sich nicht mit einer Seite. Er ist nicht nur Land, Tracht, Schmalz und Idylle. Das ist kein "entweder-oder", sondern vielmehr ein großes, paradoxes "und": Elvis und Lederhose, Volksmusik und Rock’n’Roll, Schlager und Country, Dialekt und Englisch. Dirndl und Rock.

Interessant ist, was bei dieser Begegnung herauskommt. Es könnte ja sein, dass dabei das Dirndl verändert, dass es zu etwas anderem wird. Man hört ja oft, die Jungen tragen zwar wieder Tracht, aber sie meinen es anders. Es sei eine Mode, ein Look. Tatsächlich aber wird bei Gabalier nicht die Tracht umcodiert, sondern der Rock’n’Roll. Nicht das Brauchtum wird verändert, sondern die Moderne, nicht die Landidylle, sondern die Stadt wird neu definiert. So wie etwa beim Autorennen in Spielberg - nicht gerade der Inbegriff von Landidylle. Ob des Skandals um die falsch gesungene Hymne ist eine andere Absurdität völlig untergegangen: Wieso wird eigentlich ein Autorennen als Trachtenshow inszeniert?

Gabalier schreibt die Heimattümelei ins Herz der Moderne ein. Er behandelt die Popmusik, als ob diese immer schon ein Medium für massenwirksame Volkstümelei gewesen sei - und nicht etwa das genaue Gegenteil davon. Er betreibt ganz bewusst die Heimholung des Rock’n’Rolls. Es war übrigens Jörg Haider, der diese feindliche Übernahme der Moderne durch die Tradition im Politischen vorexerziert hat.

Seit Diedrich Diederichsens berühmtem Spex-Artikel "The kids are not alright" wissen wir: Pop ist nicht gleichbedeutend mit Links. Das bezog sich damals auf aggressiven Nazi-Rock. Gabalier aber präsentiert idyllischen rechten Rock.

Gabaliers Brauchtum mit modernem Antlitz befriedigt offenbar ein Bedürfnis: all der Leute, die aufgebrochen sind, um der Enge des Dorfes, des Landes, der Provinz zu entgehen, und die sich verlassen in der Urbanität wiederfanden; all der Leute, für die die Moderne aus einer Verheißung zu einer Last geworden ist; all der Leute, die sich bisher ihre Volkstümelei nicht erlauben konnten und diese nun ungeniert ausleben können.

Die Berliner "taz" nennt dies eine "nationalsexuelle Bewegtheit".