Die Debatte um die Nachfolge des deutschen Bundespräsidenten Johannes Rau ist voll entbrannt. Während aus der CSU weiter der frühere CDU-Vorsitzende Wolfgang Schäuble ins Gespräch gebracht wurde, wünscht sich Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) eine Frau als nächstes Staatsoberhaupt. Die SPD wäre dafür sogar bereit, bei der Wahl am 23. Mai | eine Kandidatin der Union zu unterstützen und auf einen eigenen Bewerber zu verzichten. CDU-Chefin Angela Merkel | gerät angesichts der Geplänkel unter Entscheidungsdruck.
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Wenn Wolfgang Schäuble heute die CSU-Landesgruppe in Wildbad Kreuth besucht, werden Erinnerungen wach. Auf den Tag genau vor zehn Jahren, am 7. Jänner 1994, war es Roman Herzog, der die CSU bei ihrer Winterklausur besuchte, sich dort deren Unterstützung zusagen ließ und seine Bereitschaft zur Kandidatur für das Amt des deutschen Bundespräsidenten bekannt gab. Kurz darauf wurde der Präsident des Bundesverfassungsgerichts offiziell vom CDU-Vorstand nominiert und fünf Monate später, am 23. Mai 1994, zum Staatsoberhaupt gewählt.
So einfach dürfte es für Schäuble längst nicht werden - auch wenn sich mittlerweile immer mehr CSU-Politiker aus der Deckung wagen und seine Bewerbung für das höchste Amt im Staate propagieren. Nachdem am Freitag schon Parteichef Edmund Stoiber seine Wertschätzung für Schäuble bekräftigt hatte, bekundete vor wenigen Tagen auch CSU-Landesgruppenchef Michael Glos offen, seine "persönliche Präferenz" gelte dem ehemaligen CDU-Chef - auch wenn es bei dessen Besuch in Kreuth natürlich nur ganz andere Themen wie Steuer- und Europapolitik gehe.
So treuherzig die CSU das auch beteuert, inzwischen gilt es als ausgemacht, dass die Parteigranden Schäuble zumindest hinter den Kulissen ihre Unterstützung für eine Kandidatur signalisieren wollen. In der CDU-Spitze um Merkel sorgt das Vorgehen der Schwesterpartei für Verärgerung, hatten beide doch verabredet, sich erst nach der Hamburger Wahl Ende Februar festzulegen. An diesen Fahrplan will sich eigentlich auch FDP-Chef Guido Westerwelle halten, dessen Partei in der Bundesversammlung das Zünglein an der Waage ist. Nicht so der hessische Ministerpräsident Roland Koch, der vergangene Woche als erster ein klares Bekenntnis für Schäuble vorbrachte ("ein sehr geeigneten Bewerber") - und seiner Parteikollegin Merkel damit in den Rücken fiel. Sein offenes Plädoyer für Schäuble wurde in der CDU denn auch mit Kopfschütteln registriert.
Dass die CSU klare Duftmarken setzt, hat handfeste strategische Gründe. Stoiber will ein für alle Mal klar machen, dass er seinen Platz nach wie vor in der aktiven Politik sieht - und zwar in der ersten Reihe, neben CDU-Chefin Merkel. Seine eigene Bewerbung für das Präsidentenamt hat er längst ausgeschlossen. Die Kür des Kandidaten für das Bundespräsidentenamt gilt gerade deshalb als wichtige Bewährungsprobe für Merkel. Kann sie am 23. Mai in der Bundesversammlung einen Unionskandidaten durchsetzen, dürfte dies auch als Signal für einen Machtwechsel gewertet werden. Sollte sie aber Fehler machen, wäre sie fraglos geschwächt. Das wissen auch Stoiber und Koch.
Bei einer Kandidatur von Schäuble müsste Merkel befürchten, dass dieser in der CDU keine hinreichende Unterstützung findet. Der frühere Parteichef hat immer noch viele Gegner in der CDU. Die Zahl seiner Unterstützer ist gering. Merkel habe zuletzt noch abgewartet, ob sich Schäubles Kandidatur zum Selbstläufer entwickele. Dies sei jedoch nicht der Fall gewesen, berichtet die "Bild"-Zeitung am Samstag unter Berufung auf Merkels Umfeld. Weiterer Druck kommt von der FDP, die sich einen eigenen Kandidaten offen halten möchte.
Töpfer als möglicher Überraschungskandidat
In der CDU-Spitze wird es laut "Bild" nun für möglich gehalten, dass Merkel der Union den früheren Umweltminister Klaus Töpfer als Überraschungskandidaten präsentiert. Anlass könnte ein gemeinsamer Auftritt beider am 12. Jänner in Berlin sein. Anfang März als Entscheidungsdatum dürfte ohnehin nicht mehr zu halten sein.
Weiterer Druck kommt von Bundeskanzler Schröder, der die Union mit seiner Forderung nach einer Frau als Staatsoberhaupt ärgert. Im neuen "Spiegel" bekräftigte der SPD-Chef, seine Partei könnte unter Umständen auf die Nominierung eines eigenen Kandidaten verzichten, wenn die Union eine integrationsfähige Bewerberin aufstelle. Während Merkel zurückhaltend reagierte - "Wir treffen die Entscheidung nach unserem Zeitplan, in Ruhe und unabhängig von der SPD" - wurde ihr Stellvertreter Christoph Böhr deutlicher: Die "durchsichtigen taktischen Spielchen" Schröders schadeten dem Amt, der Kanzler solle sich gefälligst zurückhalten, schämte er.