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Die Helfer brauchen Hilfe

Von Thomas Seifert

Politik
Yves Daccord: "Das Rote Kreuz wurde früher von Technologie-Konzernen belächelt, heute nehmen sie uns ernst."
© Seifert

Yves Daccord, Generalsekretär des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz, über die Zukunft von Konflikten.


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"Wiener Zeitung": Das Internationale Komitee vom Roten Kreuz beobachtet aufmerksam bewaffnete Konflikte. Welche Veränderungen und Trends, wie Konflikte sich heute entwickeln, können Sie erkennen?

Yves Daccord: Aus meiner Sicht gibt es drei große Trends: Erstens: Die Annahme, dass Kriege - wie in Afghanistan und im Irak - Beispiele moderner Kriege sind, ist ein Irrtum. Kriege werden heute viel eher gefochten wie in Libyen, Somalia oder Syrien. Man weiß nicht mehr, wer die Verantwortlichen sind, es bleibt oft unklar, wer hinter einzelnen Milizen steckt. Den wenigsten Menschen ist bewusst, dass von den 15 Mitgliedern des UN-Sicherheitsrates mindestens zehn in Kriege verwickelt sind. Die Vereinigten Staaten sind in 15 bewaffnete Konflikte verwickelt, Frankreich in zwölf. Zweitens: Die Demokratisierung von Massenvernichtungswaffen ist besorgniserregend. Wir erleben einerseits eine immer weitere Proliferation von Nuklearwaffen-Know-how. Das Beispiel Syrien hat gezeigt, dass die Konfliktparteien auch vor einem Einsatz von chemischen Kampfstoffen nicht zurückschrecken. Drittens: der Niedergang internationaler Kooperationsbereitschaft. Es gibt im Moment immer weniger internationale Koordination und Kooperation. Dahinter steckt vermutlich der Wechsel von einer Machtstruktur - nämlich der Dominanz des Westens nach dem Ende des Kalten Krieges - zu einer anderen: nämlich dem Aufstieg Asiens, allem voran jener von China. Eigentlich verlangen die Herausforderungen unserer Tage nach einer immer engeren Koordination zwischen einzelnen Nationen - die Realität ist aber eine andere. Die Nationalstaaten sind auf ihre Souveränitätsrechte versessen, anstatt die ernsten Fragen - Klimawandel, Migration - gemeinsam anzugehen.

Gibt es denn weit und breit keinen Grund für Optimismus?

Doch, es gibt nicht nur Schatten, sondern auch Licht. Was wir seit einiger Zeit beobachten ist eine immer engere Kooperation der Megastädte der Welt. Städte sind jene Orte, an denen die Migrationswellen anbranden, Städte sind die Orte, wo sich die Zuzügler ansiedeln und erste Wurzeln schlagen. Und die US-Städte sind es auch, die nach der Drohung von US-Präsident Donald Trump, aus dem Pariser Klimaabkommen auszusteigen, gezeigt haben, dass zumindest wichtige Teile der USA ein Interesse daran haben, Teil des Klimabündnisses zu bleiben. Ich sehe auch im privaten Sektor den Willen zur Zusammenarbeit und kann mir vorstellen, dass man da alle möglichen Arten von neuen Kooperationsformen sehen wird. Gleichzeitig stecken wir vielfach in alten Mustern fest: So müssen wir erkennen, dass unsere Formen der Diplomatie vielfach veraltet und mit der Problemlösung überfordert sind. Die internationale Diplomatie muss agiler und flexibler werden. Die Instrumente der Diplomatie müssen vielfältiger und moderner werden und vor allem müssen bessere Lösungen entwickelt werden als bisher. Beeindruckend ist: Eine Reihe von Ländern setzt sich für das Verbot von Minen, Clustermunition und Nuklearwaffen ein. Österreich spielt übrigens bei derartigen Initiativen immer eine wichtige Rolle - da können die Österreicherinnen und Österreicher ruhig stolz darauf sein.

Welche Entwicklungen erwarten Sie für 2018?

2017 hatten wir eine ganze Reihe von Wahlen in Europa - nicht zuletzt in Frankreich, Deutschland aber auch in Österreich. 2018 ist das nicht der Fall, daher ist mit etwas mehr Vorhersagbarkeit und Stabilität zu rechnen. Man kann auch jetzt bereits erkennen, dass Europa 2018 für die Herausforderung der Migration Lösungen finden wird, die mit etwas guten Willen über reines Containment und reine Abschottung hinausgehen werden.

2018 wird auch der Sahel stärker in unser Bewusstsein treten: Es gibt massive Probleme im Nordosten Nigerias, es gibt Probleme in Mali, im Tschad. Südostasien ist die große Unbekannte: Wird sich die Lage in Rakhaing-Staat in Myanmar verbessern? Wird sich die Lage für die Rohinyga verbessern? Bangladesch wurde durch massive Flüchtlingsbewegungen aus Myanmar in diesen Konflikt hineingezogen.

Ich möchte aber auch an
die Kämpfe in der Stadt Marawi auf der philippinischen Insel Mindanao erinnern. Von Mitte Mai bis Mitte Oktober hat die philippinische Armee gegen den IS gekämpft, 1230 Menschen sind
dabei ums Leben gekommen, mehr als eine Million Zivilisten sind aus dem Kampfgebiet geflüchtet.

Im Nahen Osten bleibt Syrien eine ziemliche Herausforderung für die humanitären Organisationen, ebenso der Irak - vor allem aber der Jemen. Im Nahen Osten wird es vor allem darum gehen, welche Rolle die für alle Konflikte in der Region kritischen Akteure Türkei, Saudi-Arabien, aber auch der Iran spielen wollen. Wir dürfen aber auch nicht vergessen, dass wir beim Internationalen Komitee vom Roten Kreuz immer auch auf das Unerwartete vorbereitet sein müssen: Denken Sie daran, dass das Risiko von weltweiten Pandemien wegen der immer engeren Verflechtung der Welt von Jahr zu Jahr im Steigen begriffen ist.

Welche Rolle können humanitäre Organisationen wie etwa das Rote Kreuz dabei spielen?

Wir sind bereit, unser Wissen und unsere Ressourcen einzubringen. Ich gebe Ihnen ein Beispiel: Wir stehen seit einiger Zeit in einem Dialog mit den großen Technologie-Konzernen. Vor ein paar Jahren haben uns diese Konzerne vielleicht noch ein wenig belächelt, heute nehmen sie uns ernst.

Mit welchen Herausforderungen sieht sich das Rote Kreuz bei den Einsätzen konfrontiert?

Seit einiger Zeit schon spielt die Nationalität der Mitarbeiter eine Rolle. Dänen, Briten, Franzosen und Amerikaner sind im Nahen Osten gefährdet. In vielen Ländern gibt es bei bestimmten Nationalitäten auch Schwierigkeiten mit Visas. Das ist betrüblich, aber so ist es.

Zur Person

Yves Daccord (geboren 1964 in Zürich) arbeitete nach seinem Politikwissenschaftsstudium in Genf bei einem Schweizer TV-Sender. Seit 1992 ist er beim Internationalen Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) beschäftigt und war in leitenden Positionen in Israel, Jemen, Kenia, Sudan, Georgien und Tschetschenien tätig. Seit 2010 ist Yves Daccord Generalsekretär des IKRK.